Leben bis zum Anschlag
Wasserflasche aus der Kiste unter der Theke. »Zoff, weil sich Maika, unsere Heldin der Arbeit, mal wieder außerhalb des Clubs verdient macht?«
»In zehn Minuten deckt meine Mutter den Tisch. Ich muss heim. Mein Vater ist da«, erklärt Nora gestresst.
»Okay, hau schon ab«, sagt Mehmet.
Was? Nora denkt, sie hört nicht recht, will Mehmet an ihr Herz drücken und täuscht mit ausgestreckten Armen in letzter Sekunde ein kollegiales Anrempeln an. Dann wühlt sie sich sofort zwischen den hereindrängenden Rehwix -Fans nach draußen. Sie wirft sich in Keaths Arme für ein kurzes und heftiges Abschiednehmen.
Nora rennt.
Klatsch, klatsch, schlagen die Flip-Flops gegen ihre Füße. Sie verteilt ihre Konzentration gleichmäßig auf Scherben am Boden, kahle Typen auf Augenhöhe, sämtliche Hunde und das leiseste Aufkommen von Aggression auf ihrem Weg. An dem verstörten schwarz gekleideten Mädchen, das nur entfernte Ähnlichkeit mit der Maika hat, die sie kennt, rennt sie vorbei.
Nora platzt in die Küche, als Yolanda eben ihre verbrannten Finger unterm Wasserstrahl kühlt.
Der Vater sitzt am Tisch und der Braten steht auf dem Tisch.
»Glück gehabt«, sagt Yolanda.
»Hmm, das riecht lecker«, schnurrt Nora. »Ich hab einen wahnsinnigen Hunger.«
Track #11
11 Miss-Klang
Die letzten Konzertbesucher knallen mit der Tür und verschwinden im Club. Danach wird es endlich ruhig im Hinterhof. Mit geschlossenen Augen lehnt sich Keath an die Wand. Der Abdruck von Noras Umarmung brennt auf seiner Brust. Jedes Pärchen, dem er Karten verkauft hat, alle, die zusammen in den Club gehen, gemeinsam den Abend verbringen und möglicherweise anschließend die Nacht, lassen ihn Nora schmerzlich vermissen. Er könnte schreien, aus der Haut fahren, mit Sachen schmeißen. Wie soll das gehen? Nora und er haben überhaupt keine Zeit miteinander und vor allem überhaupt keine Möglichkeit, ungestört zu sein. Sie sind das einzige beknackte Liebespaar auf diesem Planeten, das sich zum Putzen trifft. Es ist ein erotisches Highlight, wenn sie sich zum Knutschen auf den Lokus stehlen können. Das ist total beknackt. Frustrierend! Das hält er nicht mehr lange aus! Er kann Nora nicht zu sich nach Hause mitnehmen, solange Lucky da ist. Aber was ist mit ihr? Noch nie hat sie ihn zu sich eingeladen. Warum kann er nicht mal mit zu ihr? Keath reißt die Tür zum Club auf. Vielleicht bringt ihn Tanzen auf andere Gedanken.
… Spazier mit deiner Autonomie hinüber zur Abfalldeponie. Da gibst du deine Verantwortung ab. Blauer Engel auf dem Sack. Doch Onanie recycel nie …
Er haut die Tür wieder zu. Dann doch lieber bis zum Morgengrauen mit dem Katzenfutter rascheln und die Katzen aus dem Getränkeschuppen locken und in einen Gedankenaustausch verwickeln. Genölte Statements und Appelle gehen ihm auf den Sack. Er tanzt nicht gern zu Slogans, die zum Rätseln anregen sollen und wie Fettaugen auf einem Klangbrei glänzen. Keath ist kein Fan von Rehwix.
Ps, ps, ps die Katzen zeigen sich nicht.
Hinter Keath klacken Absätze und setzen seinen Grübeleien ein Ende. Ein Mädchen stürmt auf ihn zu.
»Hallo!«
Null Reaktion, sie verschwindet im Club, ohne zu zahlen.
War das … Maika? Jetzt zweifelt Keath langsam an seinem Verstand. Ausgesehen hat sie wie Maika, aber auf der anderen Seite auch nicht. Im Grunde waren nur die Haare vergleichbar, alles andere war anders.
»Stopp!« Mehmet schießt hinterm Tresen vor und packt Maika am Arm.
»Lass mich los!« Sie will seine Hand wegziehen.
Mehmet schüttelt den Kopf. »Du musst irre sein! Du bringst alle in Schwierigkeiten, bist total unzuverlässig und tust, als wär das okay.« Mehmet starrt Maika irritiert an. »Ist es aber nicht!«
»Ich muss aufs Klo.«
»Piss dir hinterm Tresen in die Hosen.« Mehmet fasst es nicht, dass sie vollkommen geistesabwesend an der Bar vorbei in den
großen Saal verschwinden wollte, als wär sie ein zahlender Gast, der sich mal eben das Konzert reinziehen will!
Verrückte Welt.
Er lässt Maika stehen und checkt die Einstellungen am Mischpult. Da ist alles in Ordnung. Dann nimmt er das Publikum von Rehwix unter die Lupe. Schon an der Bar hat er den Eindruck gewonnen, dass es sich aus den Oberstufen der Hamburger Gymnasien zusammensetzt. Mehmet hält nach Dali Ausschau, findet ihn aber nicht. Das Konzert scheint ihm nicht so wichtig zu sein, wie er es Nora gegenüber behauptet hat. Schade, vielleicht hätte der Bayer eine Erklärung dafür gehabt, wieso so
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