Leben bis zum Anschlag
Hunden vorbeiführt und niemand was dagegen tut. Das würde nämlich bedeuten, dass er seine Arbeitsstelle nicht mehr aufsuchen kann und seinen langjährigen Lieblingsjob kündigen muss. Mit dessen Hilfe finanziert er jedoch die Arbeit an seiner Dissertation: Membrum virile. Der Penis des Menschen. Für Lars ein unerschöpfliches Thema. Der Schwerpunkt seiner Forschungen sind die Penisschwellkörper und die Erektion. Da steht er kurz vor einem Durchbruch.
Mehmet unterbricht Lars’ Befürchtungen und setzt seine eigenen dagegen. Möglicherweise bringt der neuerliche Glatzenauftritt den Chef dazu, dass er den Club aufgibt.
Da stimmt Lars sofort zu, kein Wort darüber zu verlieren.
In dem Moment bricht im Saal die Musik ab. Dafür setzt Geschrei ein. »Zugabe! Zugabe!«
Die Stimmung kippt, das kriegt Mehmet an der Bar mit. Er lässt Lars stehen und sieht nach.
Die Rehwixer geben keine Zugabe. Sie haben neunzig
Minuten gespielt und sind am Packen. Das ist bitter. Scheißplanung. Und was jetzt?
»Das musst du jetzt aber echt den Chef fragen«, sagt Lars zu Mehmet. Im Saal setzen Buhrufe und rhythmisches Stampfen ein. Das ist ein Signal, es dauert dann meistens nicht mehr lang, bis die ersten Gläser auf den Boden geschmissen werden. Mehmet hängt bereits am Telefon.
»Die packen zusammen, Chef. Rehwix geht und der Club ist rammelvoll. Was soll ich ’n jetzt machen?«
Lars beugt sich zu Mehmet über die Theke und hört mit. Aber das Gespräch ist schon beendet. Mehmet steckt das Handy wieder weg.
»Was hat er gesagt?«, fragt Lars beunruhigt. Das Toben im Saal wird immer fieser.
»Leg was auf, hat er gesagt und aufgelegt«, sagt Mehmet.
»Und? Worauf wartest du?« Lars hat Glas klirren hören.
Das war Einbildung. So weit ist das Publikum noch nicht, aber es kostet Mehmet trotzdem Überwindung, sich der Aggression entgegenzustellen. Er schwingt sich auf die Bühne und dreht auf. So laut, dass das empörte Geschrei über die viel zu kurze Darbietung übertönt wird. Utzutzutz.
Satte Bassdrums, ein Gewitter von Conga-Einschlägen krümmen den Raum und lassen die Distanz zu Lüneburg größer und weiter werden als die zum Schwarzen Meer.
Mehmet hat seine Finger am Pegel, und das gemeine Herumgestampfe wird – Hokuspokus! – zum geschmeidigen Saaltanz.
»Was geht denn da drinnen ab?« An Keaths Ohr sind Schwingungen vorbeigestreift, die nichts mit dem nörgeligen Onaniegesang gemein haben. »Lös mich mal kurz ab.«
»Nein«, sagt Dali. »Ich geh rein und erzähl dir dann, was abgeht. Hab genug abgelöst, verdammt.« Mit diesen Worten verschwindet er im Club.
Wenn das so ist, bleibt für Keath mal wieder nur das Gespräch mit den Katzen. Cattalk. Raschel, raschel, raschel, schüttel, schüttel. Diesmal kommen sie alle, die Alte und ihre vier Jungen.
»Ist doch fies, dass ich immer ganz allein hier rumstehen muss«, sagt Keath zu der Alten. »Was meinst du, schaff ich die Aufnahmeprüfung?« Er sitzt vor ihr in der Hocke.
Sie sieht ihn ruhig an und holt Luft.
Keath kriegt die nackte Panik, sie könnte antworten, springt auf und geht weg. Himmel! Er ist kurz vorm Durchdrehen!
Die Tür geht auf und unglaublich schnelle, satte Beats treiben zwei Leute auf den Hof hinaus. Der Typ mit dem Gitarrenkoffer auf dem Rücken sieht aus wie der Sänger von Rehwix. Ist das Konzert etwa schon vorbei? Das Mädchen erinnert von hinten an Maika, aber das tun heute alle Mädchen, und Sehnsucht hat Keath nur nach einer Einzigen, der keine andere gleicht.
»Nora! Die alte Katze hätte beinah mit mir gesprochen.« Keath hat das Handy am Ohr.
»Aber wieso soll die Katze was sagen? Die hat noch nie gesprochen.«
Nora drückt sich an Yolanda vorbei und verlässt die gemütliche Runde auf dem Balkon.
Ihre Eltern starren ihr irritiert hinterher.
»Ich hab sie was gefragt. Wahrscheinlich wollte sie mir nur antworten, aber ich hab’s nicht ausgehalten und bin abgehauen«, erzählt Keath. »Jetzt fressen alle am Schuppen und ich trau mich nicht mehr hin.«
Nora ist in ihrem Zimmer angelangt und lässt sich aufs Bett fallen.
»Hast du dich aufs Bett fallen lassen?«, fragt er.
»H m.«
»Wenn ich hier im Hof rumstehe, hab ich eine Million Jahre Zeit, an dich zu denken. Ich werd verrückt vor Sehnsucht.«
»Nicht durchdrehen, mein Liebster.«
»Was soll ich bloß machen? Ich sehe schon überall Maika. Alle Mädchen sehen aus wie Maika …«
»Hä?«
»Ein Albtraum ist das!«
»Gut.« Nora wechselt das Thema.
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