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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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ihm Geschichte sehr viel lieber gewesen wäre anstelle des katastrophalen Deutschunterrichts.
    Seine bösen Ahnungen der ersten Stunde hatten ihn nicht betrogen. Der Leistungskurs war so trocken und staubig, dass er hinterher stets das dringende Bedürfnis hatte, ein Glas Cola zu trinken – oder besser Bier. Die Lehrerin hielt sie alle miteinander für niveaulose, hoffnungslose Tölpel, denen die Schönheit der deutschen Literatur nie aufgehen würde. Sie machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung.
    Mit der Einstellung war es kein Wunder, dass die meisten Schüler mit trübem Blick auf den Tischen lagen und kaum zuhörten, wenn sie sprach. Das Schlimme war, dass es sie nicht einmal störte, solange sie nur den Mund hielten.
    Frau Beckers Lieblingszitat lautete: „Es ist ja Ihr Abitur, das Sie sich versauen. Also hören Sie zu oder lassen Sie es bleiben. Mein Problem ist das nicht.“
    Nun, Sascha kannte den Stoff schon und hatte ihn auf für ihn anständige Weise vermittelt bekommen. Seine Klassenkameraden taten ihm da schon eher leid.
    Langsam malte er das nächste Kästchen aus. Er wollte möglichst schnell nach Hause. Oder nein, nicht nach Hause. Er wollte zu Andreas. Was war da gestern nur passiert? Er unterdrückte ein Lächeln.
    Drei Tage hatte er sich geschämt. Drei Tage hatte Andreas ihn zappeln lassen. Sascha musste zugeben, dass er sich diese Sendepause verdient hatte. Es war für ihn ein Segen gewesen, als er endlich die Karten auf den Tisch legen konnte; auch wenn es ihm nicht leicht gefallen war. Er hatte nicht damit gerechnet, so glimpflich davon zu kommen. Aber es war gut gewesen, sagen zu dürfen, wie leid ihm sein unbedachtes Handeln tat. Wenn man schon Mist baute, sollte man es hinterher wenigstens zugeben können.
    Die unerwartete Einladung hatte ihn gänzlich auf dem falschen Fuß erwischt. Und wenn er ehrlich war, alles andere, was danach kam, erst recht.
    Er hatte sich seit dem ersten Kuss innerlich weit von jedem Gedanken an Andreas und ihn als Paar, oder wie immer man es nennen wollte, distanziert. Umso angenehmer war die Überraschung, als Andreas auf ihn zukam und signalisierte, dass er doch Interesse hatte. Zumindest für den Moment, zumindest für ein wenig Genuss unter Freunden.
    Sascha hatte ihre recht harmlose Spielerei als schön empfunden, aber auch als merkwürdig. Zum einen hatte er es nicht gewagt, sich gänzlich zu entfesseln, und zum anderen hinterließ es schwer zu beschreibende Spuren in seinem Geist. Oder in seiner Brust.
    Letztere fühlte sich seit gestern sehr voll an. Ganz so, als säße in ihr ein Luftballon, der sich ausdehnen wollte. Der Widerstand drückte gegen seinen Bauch und sorgte dafür, dass er kaum Hunger hatte. Gleichzeitig schob er sich auch gegen seine Kehle, löste allerdings keinerlei Übelkeit aus. Eher dem übermütigen Wunsch, auf den Schulhof zu rennen, auf einen Müllcontainer zu springen und laut zu schreien.
    Sascha wechselte den Stift und malte das nächste Kästchen blau an.
    Ganz abgesehen davon, dass Andreas küsste wie ein Verhungernder und Sascha allein bei dem Gedanken daran im Gehirn benötigtes Blut an andere Regionen abtreten musste, war irgendetwas zwischen ihnen passiert.
    Er hatte es sofort bemerkt. Wenn man sich für etwas entschuldigen musste, rechnete man nicht unbedingt damit, dass einem sofort vergeben wurde. Genau das war aber gestern geschehen.
    Sascha hatte an ein freundliches Lippenbekenntnis von Andreas' Seite geglaubt, als er die Villa betrat. An guten Willen und die ehrliche Bereitschaft, seine Lüge und seinen Übergriff auf lange Sicht zu verzeihen. Egal, ob der andere sich entschuldigte oder nicht, die wenigsten Menschen konnten schnell vergeben.
    Andreas aber konnte es. Und warum? Weil seinen eigenen Worten nach niemand so gut verstand wie er, was es bedeutete, Angst zu haben. Sascha bezweifelte, nein, wusste, dass er nicht so viel Verständnis gehabt hätte, wenn es anders herum gewesen wäre. Weil schweigen und lügen zwei unterschiedliche Angelegenheiten waren. Und er hatte nun einmal gelogen und nicht nur verschwiegen, dass er schwul war.
    Doch Andreas' Ansatz war anders. Er beschäftigte sich mit der Furcht und damit mit dem Kern der Sache; nicht mit dem, was am Ende dabei herausgekommen war. Deswegen verzieh er ihm. Obwohl er mit Sicherheit einen großen Schreck bekommen hatte, als seine Neigung wenig sensibel ans Licht gezerrt wurde.
    Das konnte Sascha nur bewundern. Andreas mochte Schwierigkeiten haben, aber er

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