Leben im Käfig (German Edition)
abwesend über seinen Hausaufgaben, die sich vor ihm auftürmten wie der Mount Everest. Leider musste er zugeben, dass das seine eigene Schuld war. Er hatte geschlampt. Wenn er vernünftig gewesen wäre, hätte er am Wochenende das Gröbste erledigt und sogar ein wenig gelernt. Aber nein, stattdessen hatte er die Arbeit vor sich hergeschoben, bis sie über ihm zusammenbrach und ihn unter sich begrub.
Blöd, aber es war es wert gewesen, wenn man ihn fragte.
Er schob sich einen Bleistift in den Mund und kaute auf der Lackierung, während er die vergangenen Tage Revue passieren ließ.
Der Besuch im Kino mit Tanja und den Kindern hatte ihm gut gefallen; der Film hingegen weniger. Aber es war nett gewesen, aus dem Haus zu kommen. Die Nachmittage hatte er ausschließlich bei Andreas verbracht. In seinem Bett. Einmal auch auf dem Fußboden. Sascha dachte gern daran zurück. Zu gern, wenn er ehrlich war. Denn trotz aller guten Vorsätze war er gestern wieder zu Andreas gegangen, statt seine Hausaufgaben zu dezimieren. Und auch jetzt wollte Sascha wieder drüben sein und in die seltsame Realität der Villa Winterfeld eintauchen.
Gott, sie passten verdammt gut zusammen. Sie wollten dasselbe und fügten sich ineinander wie zwei Puzzle-Teile. Sascha fand diese Harmonie erschreckend, aber auch erhebend. Andreas roch verflixt gut und war stets herrlich eifrig. Er gab Sascha nie das Gefühl, dass er zu viel von ihm verlangte oder es übertrieb.
Und Andreas seinerseits verlangte gar nichts. Er vermittelte nur das Gefühl, dass Sascha bei ihm willkommen war.
Er unterdrückte ein Brummen. Er wollte wirklich, wirklich gerne nach drüben gehen. Die restliche Hausaufgabe konnte er immer noch heute Nacht machen. Ihm kam der Gedanke, dass er Zeit verschwendet hatte, als er am Samstag ins Kino ging, statt den Abend in der Villa nebenan zu verbringen.
Das Vibrieren seines Handys in seiner Hose riss ihn aus seinen Überlegungen und lenkte ihn mehr schlecht als recht ab. Das Beben an seinem Bein zeigte in seinem dauerhaft erregten Zustand durchaus eine Wirkung.
„Ja?“, fragte er abwesend, ohne einen Blick auf das Display zu werfen.
„Hey, großer Bruder, ich bin echt sauer auf dich!“, schallte es ihm entgegen.
Sascha kratze sich am Hinterkopf und überlegte. Hatte er etwas Wichtiges vergessen? „He, Katja, warum?“
„Weil du kein Wort über meine Party verloren hast. Du hast versprochen, dass du kommst und auflegst. Man wird nur einmal sechzehn. Du wolltest mich anrufen. Hast du aber nicht gemacht“, plapperte seine Schwester aufgeregt los. „Sag nicht ab. Bitte nicht. Ich will keinen anderen DJ haben. Alle freuen sich auf dich. Bitte?“
Verdammt, das hatte er wirklich vergessen. Naja, eher verdrängt. Als er nach Hamburg ging, hatte er versprochen, dass er zu Katjas Geburtstag nach Hause kommen würde, um ihr mit ihrer Party zu helfen. Er hatte es nicht gänzlich vergessen, aber innerlich beiseitegeschoben. Gehofft, dass sich bis dahin die Situation zwischen seinen Eltern und ihm bedeutend entspannt hatte. Und davon konnte keine Rede sein, auch wenn sie wieder das Nötigste miteinander besprachen.
„Shit, ich weiß nicht, Kleine“, zögerte er, während er hektisch nachdachte.
Er hatte Angst, wusste nicht, was ihn erwartete. Wer hatte schon Lust, sich Nackenschläge abzuholen? Außerdem war er gar nicht scharf auf Heimweh. Bisher hielt sich diese Empfindung in Grenzen, aber wie lange noch? Besonders, falls er seine alten Freunde treffen sollte? Dazu kam, dass er Andreas gleich mehrere Tage in Folge nicht sehen würde, nicht anfassen, nicht küssen ... Moment, warum war das wichtig?
„Bitte, du hast es versprochen. Du hast noch nie ein Versprechen gebrochen“, bettelte Katja weiter und packte ihn bei seiner Ehre. „Mama und Papa werden sich zurückhalten. Ich habe ihnen gesagt, dass ich ausflippe, wenn sie sich komisch benehmen. Und ich glaube, sie wollen dich auch sehen. Ganz echt.“
Sascha stöhnte leise. Er hatte keine Wahl. Er musste fahren.
Ade, entspanntes Wochenende. Ade, Zeit für Hausaufgaben oder lernen. Verflucht. Ade, verspieltes Knutschen mit Andreas ohne zeitliche Begrenzung.
„Gut“, sagte er schließlich schweren Herzens. „Ich schaue mir die Verbindungen an und rufe dich morgen an, ja?“
„Versprichst du es mir?“
„Ja. Bis später, Kleine.“
Nach diesem Gespräch hatte Sascha keine Lust mehr, sich mit seinen Hausaufgaben zu beschäftigen. Er warf seine Bücher und Hefte in die
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