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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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mitbekommen, wie der Schmerz ihn zum Berserker machte, ihn toben ließ, nur um ihn gleich darauf in ein Häufchen Elend zu verwandeln. Niemand durfte sehen, dass er in seiner Verzweiflung ein uraltes Stofftier aus dem Schrank geholt hatte. Er hatte das Eis zwischen dem fleckigen Teddy und seiner Haut positioniert, um seine Hand vor der Kälte zu schützen. Aber wenn er ehrlich war, hatte er auch den Trost gesucht.
    Es war lächerlich. Man konnte ihm helfen, aber weil er das Haus nicht verlassen konnte, musste er die Schmerzen irgendwie ertragen. Es gab keine Rettung. Es gab nur den Punkt, an dem seine Qualen so gewaltig wurden, dass sie vielleicht seine Angst besiegten. Den Punkt, an dem er so litt, dass alles andere in den Hintergrund trat. Aber so weit war er nicht und er wollte im Grunde auch nicht so weit kommen.
    Dabei sehnte er sich nach Sascha. Er wollte getröstet werden. Er wollte ihn als Sicherheit in der Hinterhand haben, denn es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihm die Tabletten ausgingen. Wenn es heute Nacht noch so weit war ... nein, das durfte nicht passieren.
    Ohne sich richtig abzutrocknen, schlang Andreas sich ein großes Handtuch um die Hüften und verließ das Bad. Unstet schwankte er, wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Er wollte weglaufen. Weglaufen vor den Schmerzen.
    Ohne darüber nachzudenken, leckte er über den pochenden Zahn. Er saugte daran. Er hatte den wilden Gedanken, ob es möglich war, den Druck abzubauen. Indem er eine Nadel ins Fleisch stach, vielleicht?
    Andreas wankte in sein Zimmer. Schaute verlangend zu der Packung Tabletten auf seinem Schreibtisch und fragte sich, warum er sich überhaupt noch Hoffnungen machte. Wenn die erste, zweite, dritte, vierte und fünfte Dosis nicht wirkte – oder kaum -, warum sollte die Sechste es tun?
    Vor Kälte schlotternd schlurfte er zu seinem Bett und legte sich hin. Aber egal, wie er den Kopf drehte, sobald er in der Waagerechten lag, wurde es schlimmer. Er schauderte, als mit jedem Herzschlag ein glühender Dolch in seinen Kiefer gerammt wurde. Er hielt es nur ein paar Minuten aus, dann sprang er mit Tränen in den Augen auf und lief zu seinem Schreibtisch. Ihm war übel. Vielleicht von den Kopfschmerzen, vielleicht von den Tabletten. Es gab keine Hoffnung auf Besserung. Vermutlich hätte er besser mit den Schmerzen umgehen können, wenn er gewusst hätte, dass er am nächsten Morgen zum Zahnarzt gehen konnte. Mehr als 24 Stunden. Wie lange dauerte es, bis ein Nerv starb? Tage, vielleicht Wochen.
    „Ich kann das nicht“, flüsterte er und hasste den winselnden Unterton in seiner Stimme. „Warum muss immer alles noch schlimmer werden? Ich kann nicht mehr ...“
    Aber natürlich konnte er. Er musste. Er hatte gar keine Wahl.
    In dem wiederholten Versuch, den Schmerz auszublenden, startete er den Computer. Er sah auf die Uhr. Es war so spät, dass Sascha mit Sicherheit nicht mehr online war. Immerhin musste er morgen zur Schule. Fragen nach seinem Befinden, Vorwürfe, Kälte, Abweisung, all das hätte Andreas nicht ertragen können. Er war eh schon versucht, zu schreien oder mit irgendetwas zu werfen.
    Was zur Hölle war nur los? Das war doch nicht normal. Er hatte als Kind schon einmal ein Loch im Zahn gehabt. Natürlich war das nicht angenehm gewesen, aber nicht mit dem hier zu vergleichen. Er wusste, dass etwas ganz Entscheidendes nicht stimmte. Oder bildete er es sich ein? Weil ihm der Gedanke, zum Zahnarzt zu müssen, so schreckliche Angst machte?
    Spielen. Er würde spielen. Töten. Versuchen zu vergessen. Stunde um Stunde um Stunde. Das war das Einzige, was er tun konnte. Hoffen, dass es von alleine aufhörte. Hoffen, dass er so müde wurde, dass Morpheus den Sieg über die Höllenqualen errang.
     
    * * *
     
    Als der Morgen feuchte Nebelschwaden gegen seine Fenster drückte, hatte Andreas noch keine Ruhe gefunden. Er bildete sich ein, dass die Schmerzen sogar zugenommen hatten. Er kauerte an der Zimmertür, den Kopf in den Händen vergraben, so müde, so verzweifelt, so allein, dass er vor Wut, Schmerzen und Angst weinte. Selbst das tat weh. Tränen zu vergießen, die ihren salzigen Film auf seine wunde Haut legten, war schrecklich.
    36 Stunden. Er hatte sich auf die Wange gebissen, bis er Blut schmeckte. Er hatte sich übergeben, nachdem er noch einmal zwei Tabletten genommen hatte. Die Erfrierung in seinem Gesicht nahm immer größere Ausmaße an.
    Er wartete darauf, dass seine Eltern das Haus verließen, um sich neue

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