Leben im Käfig (German Edition)
Eltern sich beharkten. Es machte sie menschlich. Ihn überlegen, weil er ihr Verhalten lächerlich fand. Sie klein, weil sie sich benahmen wie unreife Kindergarten-Zwerge.
„Was macht ihr hier?“, fragte er, während er auf den Esstisch zusteuerte. Ein würziger Geruch stieg ihm in die Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Dass mittags groß gekocht wurde, war selten. Für ihn allein lohnte es sich nicht und seine Eltern waren um diese Zeit normalerweise nicht daheim.
Sein Vater trug am Hals rote Flecken spazieren und tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab; wohl, um seinen Zorn zu verbergen und sich zu sammeln.
Margarete gab sich weniger Mühe, ihre Gefühle zu verbergen: „Das frage ich mich auch. Kleine Änderung in meinem Terminplan. Wir müssen heute noch nach Zürich fliegen. Und da ich kein Reisegepäck im Büro lagere, wie dein Herr Vater, und er es nicht geschafft hat, mich zu informieren, mussten wir hierher kommen.“
„Und da habt ihr noch Zeit, wie zivilisierte Menschen zu Mittag zu essen?“, spottete Andreas. „Erstaunlich.“
Er fragte nicht, wie lange sie weg sein würden. Stattdessen fixierte er gierig die Heizplatte mit den Schweinekoteletts. Hausmannskost. Auf Wunsch seines Vater. So viel war sicher. Ungeniert griff er sich das größte Stück Fleisch und wandte sich wieder zum Gehen.
„Andreas!“, rief Richard von Winterfeld ihn zurück. „So viel zum Thema Zivilisation. Du könntest dich auch hinsetzen, statt wie ein Ferkel mit den Fingern zu essen.“
„Es ist nicht für mich gedeckt“, erinnerte sein Sohn ihn trocken. „Oder siehst du hier noch einen Teller? Außerdem schmeckt es so besser.“ Grinsend leckte er sich das Fett vom Daumen. „Viel Spaß in Zürich.“
„Schatz, sollen wir dir etwas mitbringen?“, fragte seine Mutter. Ihr Aktionismus wirkte ebenso aufgesetzt wie ihr freundliches Gebaren. „Schokolade vielleicht?“
„Klar, Mama. Schokolade, ein Taschenmesser, eine Taschenuhr, einen Topf für Käsefondue und eine eigene Milchkuh für den Garten“, lachte Andreas und ignorierte geflissentlich seinen Vater, dessen Fingerspitzen ungehalten auf der mit Spitze verzierten Tischdecke tanzten. „Guten Hunger euch beiden.“
Margarete schüttelte milde den Kopf: „Na, wenigstens hast du gute Laune. Schön, dass zumindest einer in dieser Familie gut drauf ist.“
„Könntest du dir die Spitzen sparen?“
„Wüsste nicht, wieso.“
Hingebungsvoll kauend verließ Andreas die angespannte Atmosphäre des Esszimmers und pilgerte in die Küche, um sich eine Flasche Cola zu holen. Ivana stand an der Spüle und wusch die Pfanne ab.
Er zwinkerte ihr zu: „Schmeckt super.“
Sie lächelte und nickte ihm schweigend zu.
Bewaffnet mit Kotelett und Getränk marschierte Andreas nach oben. Sein erster Blick galt der Uhr an seinem Monitor. Freitag. Wenn er sich nicht irrte, hatte Sascha heute lange Unterricht. Würde er kommen? So wie gestern?
Hungrig aß er auf. Der Knochenrest flog in den Mülleimer. Hoffentlich vergaß er nicht, ihn morgen früh auszuleeren. Andreas ließ sich auf sein Bett fallen – sein Lieblingsort in diesen Tagen – und legte die Flasche neben sich auf die Matratze.
Während er sein Mittagessen verdaute, schweiften seine Gedanken zu Sascha. Wieder einmal.
Wenn er an ihn dachte und das, was zwischen ihnen keimte, war Andreas hin und her gerissen. Oh, in erster Linie fühlte er sich fantastisch und schlicht dankbar. Daran gab es keinen Zweifel.
Aber es war nicht so einfach. Er verwandelte sich in eine Art Nimmersatt. Anfangs hatte ihm die Freundschaft gereicht, der Kontakt, das Gefühl, jemanden zu kennen, mit dem er auf einer Wellenlänge schwamm. Als er sich verliebt hatte, war es genug gewesen, Sascha sehen zu können und in seiner Anwesenheit Ruhe zu finden. Jetzt gingen seine kühnsten Träume in Erfüllung und es reichte wieder nicht.
Gott, es war herrlich. Es regte ihn auf und schob alle Sorgen und Schwierigkeiten in den Hintergrund. Andreas erwischte sich dabei, dass er permanent Lust hatte, permanent Leidenschaft wollte, permanent hungerte. Er vermutete stark, dass seine Empfindungen zu viel des Guten waren und damit zusammenhingen, dass er so schrecklich lange gewartet hatte. Doch das war halbwegs in Ordnung. Ein wenig peinlich vielleicht, aber mehr auch nicht.
Sascha machte es ihm leicht. Als er am Vortag auf einmal Andreas' Hals küsste und mit seinem Ohr spielte, war er unter seinen Berührungen vor
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