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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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war.
    Zögernd trat er näher an das Bett, setzte sich vorsichtig auf die Kante und bezwang den Drang, die Hand nach Andreas' Stirn auszustrecken, um ihm den Schweiß abzuwischen. Konnte er sich mal entscheiden? War er nun sauer oder machte er sich Sorgen?
    Er holte tief Luft. Vielleicht sollte er gehen. Das Krampfen in Andreas' Gliedmaßen erschreckte ihn zutiefst. Es kam in Wellen und schüttelte seinen Körper, der heute viel zerbrechlicher wirkte, als er ihn in Erinnerung hatte.
    „Also?“, sagte er schließlich. „Was ist mit dir los?“
    „Das willst du nicht wissen“, antwortete Andreas. Verzweiflung sprach aus seinem Blick, als er um Beherrschung ringend den Kopf beiseite drehte. „Ich ...“
    „Red' keinen Scheiß“, fuhr Sascha ihm dazwischen, halb besorgt, halb aufgebracht. „Du siehst aus wie der Tod persönlich. Ist dir kalt? Warum zitterst du so?“
    „Weil sie ... sie ... ich“, stammelte Andreas lallend.
    Als er einatmete, schüttelte es seinen gesamten Leib. Sascha überlegte, ob hier nicht ein Arzt gebraucht wurde. Oder eine der Tabletten, die auf dem Nachttisch lagen.
    Einem Instinkt folgend legte er die Hand auf Andreas' Arm und drückte ihn: „Erzähl einfach. Was ist passiert? Mann, du machst mir Angst.“
    „Angst?“, lachte Andreas bitter auf. Seine Mundwinkel zuckten gefährlich. Er schauderte. Wartete. Auf irgendetwas. Irgendwen.
    Dann schloss er die Augen und begann zu reden. Wie ein Sturzbach ergossen sich die Satzfetzen über seine Lippen: „Es fing schon am Wochenende an ... ich hatte noch nie solche Schmerzen. Ich wusste ja nicht, was los ist ... und dann ... nein. Schlimm wurde es erst Montagnacht. Und nichts hat geholfen ... ich wollte nicht fies sein ... ich dachte, ich verliere den Verstand ... ich konnte nicht schlafen und nicht essen und ... gar nichts ... ich wusste nicht, was ich tun sollte ... nur, dass ich nicht rauskonnte ... Sascha, ich wollte dich nicht so anmachen ... naja ... heute Morgen ... Zahnarzt ... Zahn im Eimer ... ich hätte am liebsten gekotzt ... musste gezogen werden und das ging nicht mehr normal wegen kaputt ...
    Ich hatte ... ich hatte solche Angst ... schon unterwegs mit dem Taxi ... die haben mich alle angestarrt, als wäre ich verrückt ... und den falschen Eingang hatte der Fahrer auch erst, und die Betäubung hat erst nicht gewirkt ... ich habe geschrien, aber ... aber ...“ Seine Stimme wurde merklich dünner und Sascha spürte, wie etwas in seiner Herzgegend in tausend Scherben brach. „Ich bin so müde ... aber ich kann nicht schlafen ... ich habe solche Krämpfe. Es hört nicht auf und nichts hilft ... und das Schlimmste ist, dass ich Montag wieder hin muss und ich habe keine Ahnung, wie ich das schaffen soll.“
    Bei seinen letzten Worten brach Andreas' Stimme. Sascha sah entsetzt die ersten Tränen über die ungleich gefärbten Wangen laufen. Hilflos versuchte er, die neuen Informationen zu sortieren. Bewegungslos sah er zu, wie Andreas sich auf die Seite drehte – von ihm weg – und sich wie ein Tier zusammenrollte.
    „Scheiße“, hörte Sascha es schluchzen. „Es tut mir leid. Ich kann nur nicht mehr. Ich kann wirklich nicht mehr.“
    Das konnte Sascha gut nachfühlen. Auch er konnte nicht mehr. Wie Betonblöcke setzte sich das Begreifen in seinen Verstand. Er konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was für eine Tortur Andreas erlitten hatte. Dafür verstand er zu wenig von seiner Krankheit, von seinen Ängsten.
    Ein Artikel im Internet konnte ihn nicht nachfühlen lassen, was einen Menschen mit tobendem Zahn dazu brachte, nicht zum Arzt zu gehen. Das war schlicht widersinnig und doch war es passiert.
    Aber Sascha begriff, dass nichts, was gesagt und getan worden war, gegen ihn gerichtet gewesen war. Es waren die Bisse eines verzweifelten Fuchses gewesen, der mit einem Beinchen in einer Bärenfalle steckte, und vor Schmerzen raste. Ein Teil von ihm war dankbar dafür. Er hatte gewusst, dass Andreas krank war und nun zum ersten Mal erlebt, was das für Auswirkungen haben konnte. Ja, er war dankbar. Andreas mochte ihn immer noch. Sonst hätte er ihm nichts erzählt, nicht erlaubt, dass er sich zu ihm setzte.
    Aber es gab auch andere Empfindungen.
    Schuld, weil er nicht darauf bestanden hatte, zu Andreas gelassen zu werden und weil er ihn so schnell aufgegeben hatte.
    Mitgefühl, weil der Freund sichtlich am Ende war. Angst, weil ihn das eigenartige Gebaren überforderte.
    Ärger, weil er nicht begriff, warum die

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