Leben im Käfig (German Edition)
miteinander gehen wollte, wäre die Situation einfacher gewesen. Doch Sascha wusste, dass jetzt nicht der Zeitpunkt war, um ihren Beziehungsstatus auszudiskutieren. Andreas musste schlafen und sich erholen.
„Komm her“, folgte er den Einflüsterungen einer inneren Stimme und rollte sich auf den Rücken; einen Arm einladend ausgebreitet. Es war das Einzige, was er tun konnte. Andreas sah auf, wanderte mit den Augen an Saschas Körper entlang, biss sich auf die Lippen, auf denen eine Spur Blut zu sehen war. Dann war er da.
Urgewalten gerieten in Bewegung, ein Staudamm der unterdrückten Wünsche, ein reißender Fluss der Sehnsucht nach Geborgenheit und Zugehörigkeit.
Nach Trost und Zärtlichkeit lechzend warf Andreas sich in Saschas Arme. Einen Laut der Erleichterung und Pein zugleich ausstoßend presste er das Gesicht gegen seinen Hals. Er krächzte etwas Unverständliches, als Sascha ihn umschlang und nach seiner Hand suchte, liebevoll ihre Finger miteinander verknotete.
Andreas war ganz warm an seiner Seite und roch dezent nach Krankenhaus, aber vor allen Dingen nach sich selbst. Sascha atmete aus, merkte erst jetzt, dass er die Luft angehalten hatte.
Ihm war schwach zumute. Alles neu, wer hätte das vor einigen Wochen noch gedacht? Er war ein gebundener Mann und fühlte sich albern, aber auch richtig gut. Da waren so viele Emotionen, die zum Ausdruck gebracht werden wollten. Nicht einmal, wenn er sich bemühte, hätte er sie alle beim Namen nennen können. Eine Sache war jedoch wichtiger als alles andere.
Mit Schmetterlingen im Bauch wandte er den Kopf und küsste Andreas' Haaransatz, bevor er flüsterte: „Schlaf ein bisschen.“
Mit behutsamen Bewegungen streichelte er die verkrampften Muskeln in Andreas' Rücken, seinen Seiten, seinem Arm.
„Bleibst du hier?“ Um nichts in der Welt wäre Sascha gegangen.
„Ja, ich bin da, wenn du aufwachst. Aber jetzt versuch zu schlafen.“ Eine kleine Pause. „Ich lasse dich nicht allein.“
Und das tat er nicht. Auch nicht, als es an seinem Hals nass wurde und sich ein Bein besitzergreifend über seinen Oberschenkel schob. Sascha war froh über die Stille. Er konnte selbst Ruhe gebrauchen, um die emotionale Achterbahnfahrt der letzten Tage zu verdauen.
Vorhin noch wollte er Andreas die Freundschaft aufkündigen, jetzt waren sie sich näher je zuvor. Sie waren zusammen. Sascha wusste es. Obwohl Andreas kein Wort verloren hatte. Darauf kaum es nicht an.
Für Sascha waren die unendlich zärtlichen Küsse an seinem Hals, das Streicheln seiner Hand, bevor Andreas einschlief, Indiz genug.
* * *
Vertraut. Gewohnt. Gemütlich. Beruhigend. Entspannend. Und trotzdem neu und aufregend.
Sascha ließ seinen Arm über Andreas' Schulter gleiten und drückte ihn an sich. Sofort bebte sein Freund fast unmerklich im Schlaf und kroch näher. Noch näher. Sie waren an den Hüften vermutlich längst ineinander übergegangen wie zwei zu eng auf das Backblech gesetzte Schokoladenkekse.
Wow, sie waren zusammen. Sie waren ein Paar. Das war unglaublich. Wer hätte das vor ein paar Wochen gedacht? Oder Monaten? Oder vor einem Jahr?
Bisher hatte Sascha nie jemanden getroffen, der neben seiner Libido auch seinen Geist berührte. Es war fremd und ein wenig beängstigend, sich jemanden so verbunden zu fühlen. Aber es tat gut. Es gab ihm ein Gefühl von Verbundenheit, wo in der Vergangenheit Leere vorgeherrscht hatte.
Sascha verstand sich nicht als Mensch, der dringend enge Kontakte brauchte. Er liebte es, mit Bekannten und Freunden zusammen zu sein. Er umgab sich gerne mit anderen Leuten, feierte noch lieber und mochte es, fremde Menschen kennenzulernen. Aber er hatte nie das Bedürfnis gehabt, sich einen besten Freund oder eine beste Freundin zuzulegen. Jemanden, dem er sein Herz ausschütten konnte.
Wenn es überhaupt eine Person gab, die diese Position bei ihm einnahm, dann war das Katja. Inwieweit diese enge Bindung mit den schwierigen Verhältnissen bei ihnen daheim zu tun hatte, war eine andere Sache.
Und nun lag er hier mit Andreas im Arm, hatte Herzrasen und wusste, dass er diese Angelegenheit ernst nehmen musste. Wollte. Konnte?
Andreas war niemand, mit dem er spielen durfte. Try and error war keine Option.
Oh, Sascha glaubte nicht, dass er gerade eine Entscheidung gefällt hatte, die ihn bis an das Ende seines Lebens begleiten würde. Aber sie mussten anständig miteinander umgehen. Oberflächlichkeit hatte zwischen ihnen keinen Platz. Das machte Angst,
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