Leben im Käfig (German Edition)
ernst. „Es geht ihm saumäßig schlecht. Oder glaubst du, die Haushälterin der von Winterfelds würde mich ohne Grund holen? Er sieht aus, als hätte ihm jemand eine reingehauen, so geschwollen ist alles.“
Tanja schwieg erneut, bevor sie nachgab: „Gut, bleib da. Aber wir beide unterhalten uns noch, verstanden? Und die Büsche freuen sich schon auf dich. Das Geschirr in der Spüle auch. Bis nachher.“
Sascha verzog das Gesicht, als er sein Handy zuklappte. Da musste er wohl einiges wieder gut machen. Später. Jetzt wartete die nächste Baustelle auf ihn.
Durch das fremde Haus zu schleichen, war ihm unangenehm. Er kannte sich nicht aus und war froh, als er seiner Nase in Richtung Küche folgen konnte.
Scheu betrat er die Küche. Ivana focht einen kleinen Strauß mit der widerwillig wirkenden Küchenmaschine aus und bemerkte ihn nicht. Es duftete nach Lorbeer und Wacholder, nach Wild und Rotkohl. Ein Feiertag? Oder speiste die Familie immer so aufwendig? Wundern würde es ihn nicht.
Sascha betrachtete Ivana von hinten. Was wollte er ihr sagen? Er wusste es nicht. Alles, was er tun konnte, war an ihre Vernunft zu appellieren.
Verlegen räusperte er sich. Sie drehte sich zu ihm um, das Gesicht rot von der Hitze der Töpfe, über die sie sich gebeugt hatte.
Ein zaghaftes Lächeln um ihre Lippen machte ihm Mut, doch bevor er etwas sagen konnte, fragte sie: „Brauchst du etwas? Ich habe gerade Früchtetee gekocht und frische Nudelsuppe. Ich dachte, ich könnte beides in Thermosflaschen ans Bett stellen, damit es nicht wieder kalt wird.“
Sascha trat von einem Fuß auf den anderen und fand sich selbst entsetzlich linkisch.
„Ja“, murmelte er heiser. „Das wäre wohl eine gute Idee.“
Andreas war sicher für alles dankbar, was ihm den Geschmack des Blutes aus dem Mund spülte.
„Und du?“, fragte Ivana weiter. „Kann ich dir etwas Gutes tun? Es sind noch Brötchen von heute Morgen da. Dort drüben in der Schublade sind auch Leckereien.“
„Nein, danke. Ich will Andreas nichts vorkauen, was er nicht essen kann.“
Sie war die perfekte Gastgeberin, das musste Sascha ihr lassen. Ihr Verhalten machte es ihm nicht leichter, sie auf das anzusprechen, was sie oben gesehen hatte. Doch er musste diese Hürde nehmen. Nicht auszudenken, was passierte, wenn sie den von Winterfelds von ihrer Beobachtung erzählte. Andreas würde an die Decke gehen.
„Ich ...“, begann er und trat zwei Schritte auf sie zu. Er ballte die Fäuste. Angriff war die beste Verteidigung, verdammt. Schlimmer machen konnte er es nicht. „Gerade oben ... was Sie da gesehen haben. Ich denke, es wäre gut, wenn das unter uns bleibt. Andreas hat Sie nicht hereinkommen hören, aber er würde nicht wollen, dass Sie seinen Eltern davon erzählen. Sie wissen es nicht, und naja, wir sollten die Dinge nicht komplizierter machen, als sie schon sind. Glaube ich.“
Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: „Bitte, wenn Sie angeekelt sind oder so, dann lassen Sie es an mir aus. Ich kann das ab. Aber Andreas ist nicht so weit. Machen Sie es ihm nicht schwerer, als er es eh schon hat.“
Er kam sich sehr erwachsen vor, aber unter der Last der Abscheu, die ihn vielleicht erwartete, wurden seine Knie weich. Bitte nicht schon wieder. Der Ekel seiner Eltern reichte ihm.
Ivana drehte sich um, musterte Sascha von oben bis unten, bevor sie mit ihrem schweren Akzent, der an russische Wintermärchen erinnerte, erwiderte: „Glaubst du wirklich, ich hätte etwas gesehen, von dem ich nicht schon vorher gewusst hätte?“ Lächelnd griff sie sich in ihre zu einem praktischen Bob geschnittenen Haare. „Was lässt dich glauben, dass du Andreas besser kennst als ich? Ich bin diejenige, die am meisten von ihm sieht. Ich leere seinen Mülleimer aus und ich wechsle seine Bettwäsche.“
Sie zwinkerte Sascha belustigt zu. Ihm blieb der Mund offen stehen. Was wollte sie ihm sagen? Dass sie schon die ganze Zeit über Bescheid wusste? Moment, sie hatten nie irgendwelche Flecken hinterlassen. Da war er recht sicher. Sie waren immer vorsichtig gewesen. Aber die Taschentücher waren im Mülleimer gelandet. Aber das reichte kaum als Hinweis. Vielleicht hatte sie sie schlicht gehört und die richtigen Schlüsse gezogen. Falsch, ihn gehört, denn Andreas war sehr leise.
Saschas Gesicht nahm die Farbe des Rotkohls an, der zufrieden in seinem Topf kochte. Peinlich. Es gab ein paar Dinge, die man keinesfalls wollte. Zum Beispiel, dass seine Eltern einen beim Sex
Weitere Kostenlose Bücher