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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Andreas einhüllte, und riss ihn zurück in die Realität.
    Müde unterdrückte er einen Fluch. Auch, wenn er am Nachmittag schon geschlafen hatte, war er längst nicht ausgeruht. Die Betäubung und die Antibiotika saßen ihm in den Knochen und schwächten ihn, aber es war keine verzweifelte, unangenehme Schwäche. Es war lediglich der Drang eines erschöpften Körpers, sich zu erholen. Dass seine Eltern wie Elefanten die Treppe nach oben getrampelt kamen, trug nicht zu seiner Entspannung bei.
    Bevor er die Augen offen hatte und scharf sehen konnte, klopfte es hektisch: „Schatz, mach bitte auf.“
    Seine Mutter, und sie klang verflucht hysterisch.
    Schicksalsergeben boxte Andreas sein Kissen, setzte sich halb auf und brummte: „Es ist offen.“
    Eine Sekunde später standen seine Eltern im Raum, beide abgehetzt und mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht. Richard von Winterfeld lockerte seine Krawatte und erfasste mit schnellem Blick die Batterie Medikamente neben dem Bett.
    Margarete schlug die Hand vor den Mund und kam näher, setzte sich auf die Matratze. „Wie siehst du denn aus?“, flüsterte sie. „Dein Gesicht ...“
    „Nicht so wild“, wiegelte er mit schwerer Zunge ab.
    „Nicht so wild? Du kannst ja kaum sprechen.“
    Sie klang, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Bereits jetzt wirkten ihre Augen zu feucht und voll.
    Sein Vater näherte sich, wenn auch von der anderen Seite des Bettes her. Die Hände hielt er hinter dem Rücken verschränkt.
    Ungewohnt unstet fragte er: “Bei welchem Zahnarzt warst du? Hat er gute Arbeit geleistet?“
    Sofort wollte Andreas auffahren. Die Reibereien zwischen seinen Eltern und ihm waren mittlerweile so selbstverständlich und eingespielt, dass er in den Worten seines Vaters automatisch einen Vorwurf las. Ganz so, als wäre er nicht in der Lage, sich einen vernünftigen Zahnarzt zu suchen.
    Um vom Thema abzulenken, wandte er sich an seine Mutter: „Was hat Ivana erzählt?“ Sie konnten es nur von ihr wissen. „Und vor allen Dingen, wann?“
    Die Haushälterin hatte ihm nicht mitgeteilt, dass sie seine Eltern verständigt hatte. Und wann immer es gewesen war, sie hatten ganz schön lange gebraucht, um an seine Seite zu eilen. Aber nichts anderes war er gewohnt.
    „Sie hat uns in Hannover angerufen“, erklärte Richard nachdenklich. „Du weißt doch, dass wir dort einen Termin hatten.“
    Hatte Andreas natürlich nicht gewusst, aber es interessierte ihn auch nicht.
    „Das ist doch ganz egal, Richard“, fuhr die Mutter dazwischen und wirkte einmal mehr zu schmal für die Lasten, die ihr Beruf ihr aufbürdete.
    Fast hatte Andreas ein schlechtes Gewissen, dass er ihr mit seinem kaputten Zahn noch mehr Ärger machte. Er wusste, dass er nichts dafürkonnte, aber trotzdem ... Wann immer bei ihm etwas schief ging und seine Mutter sich aufregte oder Sorgen machte, hatte er das Gefühl, ihr zu viel zuzumuten.
    „Warum hast du nichts gesagt? Wie geht es dir? Was haben sie gemacht?“
    „Was hättet ihr tun können? Gar nichts“, erwiderte Andreas bitter, während hinterrücks leise Vorwürfe, die er nie formuliert hatte, von ihm Besitz ergriffen. Um Sachlichkeit bemüht, schob er sie beiseite und wich den Fingern seiner Mutter aus, die nach seiner geschwollenen Wange griffen. „Es ist jetzt gut. Nur ein Backenzahn mit Karies. War ziemlich zerstört. Er ist draußen und der Rest ist Geschichte.“
    Er würde nicht jammern, nicht sagen, wie sehr er gelitten hatte. Dafür war er trotz allem zu stolz. Außerdem hatte er sein Leid bereits an anderer Stelle geklagt. Bei jemandem, der ihm wirklich zugehört und nicht das Gefühl gegeben hatte, ein bemitleidenswertes Kind zu sein.
    „Oh, nein, wie furchtbar“, stöhnte seine Mutter und selbst Richard machte ein betroffenes Gesicht, rückte ein wenig näher an das Bett heran. „Ich hatte als Jugendliche schrecklich schlechte Zähne. Ich weiß noch, wie weh es tat, als mir ein Backenzahn gezogen wurde.“
    Andreas sah auf und biss sich auf die Zunge, um den Mund zu halten. Ohne darüber nachzudenken, rückte er ein Stück von ihr ab. Dies war einer der Augenblicke, in denen er seine Mutter packen, durchschütteln und an die Wand klatschen wollte. Diese aufgesetzte Betroffenheit, für die er sich nichts kaufen konnte.
    Hatte sie in den letzten Jahren je versucht, Andreas zum Zahnarzt zu helfen? Damit er Kontrollbesuche machte, wie jeder andere Mensch auch? Diese Kleinigkeit war zwischen zwei Meetings, einer

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