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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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unbehagliche Gefühl, das er in den letzten Wochen daheim gehabt hatte. An das Bedürfnis, unsichtbar zu sein oder zumindest mit einer Wunderpille von seinen Makeln geheilt werden zu können.
    Es hatte Momente gegeben, in denen er versucht gewesen war, in die Küche zu gehen und zu sagen: „Hey, ich habe mich geirrt. War ein Unfall. Bald finde ich die richtige Frau und dann gibt es einen Haufen Enkelkinder. Ist jetzt alles wieder gut?“
    Kindisch. Peinlich.
    Trotzdem hatte er sich gewünscht, dass es so einfach wäre. Tat er noch. Das Trümmerfeld, das er bei Tanja hinterlassen hatte, war eine andere Angelegenheit. Sie hatte ihm die Leviten gelesen, als er nach Hause kam. Daran, dass sie wütend werden konnte, hatte er vorher nie gezweifelt. Sie war schließlich kein zahmes Schäfchen. Aber damit, dass sie ihm geschlagene fünfzehn Minuten die Meinung geigen würde, hatte er nach ihrem Gespräch am Telefon nicht mehr gerechnet.
    Am Ende war er trotz Schuldgefühlen sogar ein bisschen sauer auf sie gewesen. Er hatte sich entschuldigt. Hatte sich erklärt. Aber sie hatte wie ein Wasserfall weiter auf ihn eingeredet. Als sie endlich zum Schluss kam, hatte er sich wie ein begossener Pudel gefühlt und im Detail gewusst, was für mögliche und unmögliche Dinge zwei Kinder tun konnten, wenn man sie auch nur eine Sekunde aus den Augen ließ. Umgekippte Wandregale und Skalpierung durch einen in den Haaren verfangenen Mixer waren noch die harmloseren Szenarien gewesen.
    Er hätte sie auf dem Handy anrufen müssen. Auf sie warten müssen. Nachdenken müssen. Die Kids mitnehmen müssen. Alles, nur nicht dafür sorgen, dass Tanja mit ihren Einkäufen nach Hause kam und feststellte, dass Fabian und Sina allein waren.
    Obwohl Sascha fand, dass sie ein bisschen dick auftrug, musste er zugeben, dass er sie wirklich hätte anrufen können. Das Handy war ihm gar nicht in den Sinn gekommen und ja, das hatte er ordentlich verbockt.
    Er konnte nur hoffen, dass Tanja ihm von nun an nicht vollkommen misstraute. Dass auch sie sich auf die Seite der Leute stellen könnte, denen er nichts recht machen konnte, gefiel ihm nicht. Es machte ihn traurig. Ein dummer Fehler – den er gemacht hatte, weil Ivana ihn mit großen Kuhaugen ansah und Andreas als Halbleiche darstellte – und er geriet auf die Liste der bösen Menschen? Nein, das traute er seiner Tante nicht zu. Aber ob sie nachtragend war oder nicht, musste er noch herausfinden.
    Zumindest ließ sie ihre Wut auf Sascha nicht an Andreas aus. Ihr Auto lieh sie ihm gern. Sie brauchte es am Montag nicht. Aber wie hatte sie so schön gesagt?
    „Irgendetwas sagt mir, dass dieser Besuch in der Klinik mit Andreas fast Strafe genug sein wird.“
    Es schepperte, als der Triebwagen über eine alte Weiche sprang.
    Ein wenig aufmerksamer reckte Sascha den Hals. Die Bauernhöfe und Landstraßen, die am Fenster vorbeiflitzten, kannte er gut. Er war oft hier entlang gekommen, war nach der Schule häufig in diese Bahn gesprungen, um zusammen mit seinen Freunden in Kassel oder Hann. Münden einkaufen zu gehen.
    Mit jedem Kilometer, den der Zug zurücklegte, wurde die Umgebung vertrauter. Noch zwei Mal hielten sie an kleinen Bahnhöfen, bis die Stimme aus dem Lautsprecher den Namen seines Heimatdorfes quäkte.
    Die alt bekannte Biegung eines Baches kam in Sicht. Eine prägnante Baumgruppe. Das schäbige Schild am Straßenrand, das den Weg zu einem Waldgasthof beschrieb. Der Parkplatz eines Supermarktes, in dem er das erste und einzige Mal im Zuge einer Mutprobe etwas geklaut hatte. Der Gleisabschnitt, auf den sie als Kinder Pfennige gelegt hatten, damit die Räder der Züge sie zerquetschten. Die Schranken, gegen die er bei Eis und Schnee einmal mit dem Fahrrad gekracht war.
    Er sah den schlanken Kirchturm in der Ferne aufragen, das Fachwerkhaus neben seiner alten Grundschule, das langsam verfiel. Irgendwo auf dem Hügel hinter einer Reihe Kastanien und ein paar einzeln stehenden Häusern lag die Siedlung, in der sein Elternhaus stand.
    Es fühlte sich an, als wäre er jahrelang fort gewesen. Oder nur ein paar Stunden.
    Sascha erhob sich erst, als der Zug bereits bremste. Er war hier zu oft ausgestiegen, um Angst zu haben, dass er die Haltestelle verpasste. Seine linke Hand straffte sich um den Riemen seines Rucksacks, als er an die Tür trat. Er erwischte sich dabei, dass er sich wünschte, der Triebwagen würde nicht halten.
    Natürlich tat man ihm diesen Gefallen nicht. Ein paar Sprünge noch über

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