Leben im Käfig (German Edition)
Sinn. Es war ihm eh lieber, sich seinen Eltern allein zu stellen. Rückendeckung war schön und gut, aber es war Katjas Geburtstag. Er wollte ihr nicht die Party versauen. Es fehlte gerade noch, dass sie die Beherrschung verlor – sie war in diesen Tagen ziemlich auf Krawall gebürstet – und es zum Eklat kam.
Er war nicht wider besseren Wissens hergekommen, damit die Party im letzten Moment abgesagt wurde.
Ein Seufzen unterdrückend lehnte er sich zurück und sah sich in der gemütlichen Bauernküche um, die für ihn früher stets ein Hort des Schutzes gewesen war.
Mit winzigen Blumen geschmückte Gardinen wallten vor dem Sprossenfenster. Zeichnungen, die Katja und er als Kinder angefertigt hatten, hingen am Kühlschrank; das Papier war mittlerweile wellig. Die Landhausmöbel waren mit den Jahren dunkel geworden. Blumen, eine rote Tischdecke und gefaltete Servietten schmückten den Tisch, der nach dem Geburtstagsessen ein wenig gerupft aussah.
Auf jedem freien Platz auf der breiten Fensterbank, den Regalen, Wänden, Türen klebten, saßen und standen Frösche in allen Lebenslagen.
Keramik-Frösche, Porzellan-Frösche, Blumenvasen-Frösche, Tapeten-Frösche, Wandkalender-Frösche, Spardosen-Frösche, Frösche mit Regenschirm und Gummistiefeln, Frösche mit blauen Haarschleifen, naturgetreue Teichfrösche und Frösche mit breitem Grinsen, die einem Comic entsprungen waren. Überall Frösche.
Karen Suhrkamp neigte zu Tierticks. Alle paar Jahre hatte sie einen neuen Favoriten und verwandelte die Küche in ein Reservat für bedrohte Tierfiguren. Bisher hatte die Familie einen Schaf-Tick, einen Holsteiner Kühe-Tick, einen Gänse-Tick, einen Meerestier-Tick und einen Schottisches Hochlandrind-Tick überstanden.
Und Sascha würde auch diese Unterredung überstehen.
„Katja, bitte“, sagte seine Mutter und warf ihrer Tochter einen dringlichen Blick zu. „Wir reißen ihm schon nicht den Kopf ab.“
„Das weiß man bei euch nie so genau“, murmelte das jüngste Familienmitglied, bevor es mit einem Ruck aufstand. Der Stuhl kratzte markerschütternd über die Fliesen. „Bringt euch nicht um. Das gibt Flecken auf der Tapete.“
Als sie den Raum verlassen hatte, verschränkte Sascha die Arme vor der Brust und sah seine Eltern an. Vom einen zum anderen.
Wie immer, wenn sie im Revier seiner Mutter waren, wirkte sie selbstbewusst. Sein Vater hingegen kam ihm vor wie jemand, der von Herzen gerne an einem anderen Ort sein wollte. Weit weg von seinem missratenen Sohn.
„Wir haben bisher kaum ein Wort miteinander gewechselt. Wie geht es dir?“, begann Karen schließlich und stellte damit eine Frage, mit der Sascha nicht unbedingt gerechnet hatte. „Du siehst gesund aus.“
„Tanja lässt mich nicht verhungern. Was erwartest du?“, entgegnete er trocken. „Aber ja, es geht mir gut.“ Das stimmte nicht ganz, zumindest nicht in dieser Minute. „Hamburg ist toll. Es gefällt mir.“
Seine Mutter nickte und spielte mit einem goldenen Armband an ihrem Handgelenk.
Sein Vater schaltete sich ein und räusperte sich: „Und die Schule? Kommst du mit den neuen Lehrern zurecht?“
„Ja, natürlich. Habe ich je schlechte Noten gehabt? Sie wissen, dass ich eine große Klappe habe, aber was kann. Alles beim Alten. Schule ist Schule. Hört mal, was wird das hier?“, fragte Sascha gerade heraus. „Das hättet ihr mich auch fragen können, wenn Katja dabei ist. Worum geht es wirklich?“
Seine Eltern sahen sich an. Betreten. Unsicher. Verlegen.
„Nun“, setzte seine Mutter zum Sprechen an. „Wir wissen alle, dass das letzte halbe Jahr nicht so gelaufen ist, wie wir uns alle das gewünscht haben. Oder überhaupt schon länger nicht. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, Sascha. Über dich, über das, was passiert ist. Darüber, was falsch gelaufen ist.“
„Von was genau redest du? Davon, dass ich nicht euren Vorstellungen entspreche, dass ich euch peinlich bin oder dass ich schwul bin? Oder alles drei? Mann, hörst du dir eigentlich zu?“, regte er sich auf, obwohl er es gar nicht wollte.
Wie ein Kastenteufel sprang sein seit Monaten im Zaum gehaltener Zorn ans Tageslicht.
„Ich weiß nicht, warum du gleich wieder so aggressiv wirst“, sagte Karen konsterniert. „Wir haben dir nichts getan.“
„Ne, gar nichts. Abgesehen von der Kleinigkeit, dass du gestern vor der Mutter von Steffi weggelaufen bist, damit sie dir keine peinlichen Fragen stellt. Und abgesehen davon, dass Katja mir erzählt hat, dass ihr
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