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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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und biss sich dort fest.
    „Das weiß ich“, nickte der Lehrer. „Ich habe nichts anderes behauptet. Aber wir erzielen kein Ergebnis.“
    „Dann können wir es ja auch lassen. Ist eh nicht meine Idee gewesen.“ Trotz ließ Andreas in diesem Augenblick jünger wirken, als er in Wirklichkeit war. Wohin sollte dieses Gespräch führen? Ihm wurde immer unbehaglicher zumute.
    „Könnten wir. Aber ...“, Dr. Schnieder machte ein unstetes Gesicht, als handele er wider besseren Wissens, „... das ist keine Lösung. Sie brauchen eine Schulbildung und Sie sind ein kluger Kopf. Es wäre eine Schande, Ihr Potenzial wegzuwerfen, nur weil jemand vor vielen Jahren eine falsche Entscheidung für Sie gefällt hat.“
    „Falsche Entscheidung?“
    Zögernd presste der Lehrer die Lippen zusammen, bevor er sich an den Schreibtisch lehnte und die Arme verschränkte: „Sie sind volljährig. Ich sollte so etwas vermutlich aus Loyalität zu Ihren Eltern und damit meinen Arbeitgebern nicht sagen. Aber ich kenne Sie nun seit vielen Jahren und sehe, dass es Ihnen nicht besser geht – eher schlechter. Sie sollten sich in Behandlung begeben. Ihre Erkrankung ist bekannt und kann therapiert werden. Es mag nicht leicht sein, aber viele meiner Kollegen berichten von Kindern und Jugendlichen, die zwischenzeitlich mit Phobien zu kämpfen haben und davon loskommen.“
    „Ich habe keine Phobie“, knurrte Andreas ungehalten. Nein, er hatte keine Phobie. Er war exzentrisch. Das war die offizielle Erklärung und dabei würde er in der Öffentlichkeit bis zum bitteren Ende bleiben. Was bildete sich dieser Vogel eigentlich ein? „Und ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, mir solche Ratschläge zu geben.“ Richard von Winterfeld wäre stolz gewesen, wenn er den entschlossenen, selbstbewussten Tonfall seines Sohnes gehört hätte; von der bissigen Wortwahl ganz zu schweigen. „Mein Vater wäre sicher nicht begeistert, wenn er wüsste, dass Sie hinter seinem Rücken seine Kompetenz infrage stellen.“
    „Vielleicht nicht, aber meine Meinung kann man nicht kaufen“, lächelte Dr. Schnieder traurig. „Und ich wäre ein schlechter Pädagoge, wenn ich nicht auf die Sorgen meiner Schüler reagieren würde. Weglaufen bringt nichts, verstehen Sie? Sie müssen sich dem stellen.“
    „Warum? Mir geht es gut und Sie wären Ihren Job los, wenn ich draußen zur Schule gehen würde“, entgegnete Andreas zynisch. „Das wollen wir doch alle nicht. Ich glaube, Sie werden ganz gut bezahlt. Und jetzt gehe ich. Ich habe Kopfschmerzen.“
    Dr. Schnieder machte keinen Versuch, ihn aufzuhalten, als er sich an ihm vorbeischlängelte und floh. Nein, nicht floh. Er lief nicht weg. Auf keinen Fall. Andreas hatte wirklich Kopfschmerzen. Sie legten sich als fester Ring um seine Stirn und drohten ihm das Gehirn aus dem Schädel zu pressen.
    Angesichts der Schmerzen konnte er jeden Gedanken an die Unterhaltung guten Gewissens beiseite drängen. Das war ihm gerade recht. Zuerst musste er sich um seinen Kopf kümmern und später würde er sich vielleicht, ganz vielleicht mit dem beschäftigen, was der Lehrer gesagt hatte.
    Keinesfalls, indem er darüber nachdachte, sondern indem er sich bei seinem Vater beklagte, dass der von ihm eingestellte Pauker frech wurde. Problem gelöst.
    Andreas' Weg führte ihn nach oben. Seltsamerweise ließen alle körperlichen Symptome stets nach, sobald er die Tür seines Zimmers hinter sich schloss. Sie verschwanden nicht gleich ganz, wurden aber erträglich und lösten sich nach einer Weile schließlich in Wohlgefallen auf.
    Oben angekommen traf Andreas allerdings erst einmal auf Ivana. Die vergangenen zwei Stunden, die er in der Bibliothek verbracht hatte, hatte sie genutzt, um in Windeseile sein Zimmer auf Vordermann zu bringen. Die Fenster standen weit offen und waren frisch geputzt. Der Müll auf seinem Schreibtisch und die getragene Kleidung waren verschwunden, und das Meer von leeren Wasserflaschen neben seinem Bett entsorgt.
    Andreas musste zugeben, dass es jetzt ungleich angenehmer war, heimzukommen und nahm sich fest vor, es beim nächsten Mal nicht so weit kommen zu lassen.
    Ivana drehte sich zu ihm um; das Staubtuch, mit dem sie seinen Fernseher in Angriff genommen hatte, in der Hand: „Ich bin fast fertig.“ Ein sanfter Ausdruck stand in ihrem runzeligen Gesicht, als sie Andreas wissend musterte und auf ihn zutrat. Halb liebevoll, halb betroffen strich sie ihm über die Wange: „Das Bett ist frisch

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