Leben im Käfig (German Edition)
getan“, nickte Sascha und schob den Gedanken an eine tiefer gehende Verbindung gelassen zur Seite. Andreas sah zwar nicht schlecht aus, aber Hetero war und blieb Hetero; von dem Ballast, den er mitbrachte, ganz zu schweigen. Außerdem hatte er die bittere Erfahrung, sich in einen Mann vom anderen Ufer zu vergucken, bereits in der achten Klasse hinter sich gebracht. „Wenn du mich fragst ... einen Freund hat er.“
Tanja streckte sich ausgiebig und erhob sich. Sie umrundete den Tisch und umarmte Sascha kurz und heftig. Der unerwartete Druck ihrer Arme trieb ihm fast die Luft aus den Lungen. Spielerisch zerzauste sie ihm die abstehenden Haare: „Weißt du was? Es ist mir egal, was meine Schwester denkt und ob sie Probleme mit deiner Art hat. Für mich bist du ein herzensguter Kerl, Sascha. Ich wäre froh, wenn Fabian dir später mal ein bisschen ähnlich wird.“
Kapitel 12
Noch tanzten über den Fernseher die erregenden Bilder, noch war leise das Stöhnen und Keuchen der Darsteller zu hören.
Für Andreas war es jedoch vorbei. Verschwitzt und mit einem hohlen Gefühl in der Magengegend griff er blind nach den Taschentüchern auf dem Nachttisch, während er dabei zusah, wie sich fremde, gut gebaute Männer mehr oder weniger ästhetisch küssten. Es war merkwürdig. Wenn er unter Druck stand, hechelte er geradezu nach den Fantasien aus dem Fernseher. Sobald es vorbei war, fand er die Aufnahmen plump und wenig befriedigend.
Manchmal erwischte er sich dabei, dass er auf eine schwer zu beschreibende Art eifersüchtig auf die Schauspieler war. Nicht wegen des vollzogenen Akts, sondern wegen der vorgegaukelten Nähe, die sie teilten.
Alles Plastik, alles gespielt, aber Andreas wäre das egal gewesen, wenn er nur ein bisschen von dem haben könnte, was sie genossen. Ihm kam der wenig erbauliche Gedanke, dass er das großzügige Geschenk seines Vaters genutzt hätte, wäre Yasmin ein Mann gewesen. Ein neuer Tiefpunkt in Sachen Erbärmlichkeit.
Aufstehen oder nicht aufstehen, das war die große Frage. Nachdem er sich am Abend zuvor von Saschas Besuch und dem daraus entstandenen Gefühlstumult erholt hatte, war er ungewöhnlich früh vor dem Fernseher eingeschlafen. Unausgelastet, wie er war, brauchte er abseits von seinen Anfällen nur wenig Schlaf, den er sich oft erst in den frühen Morgenstunden gönnte. Jetzt war er unleugbar wach, obwohl die Vögel in den Bäumen im Garten noch nicht lange zwitscherten.
„Sechs Uhr morgens, nicht mehr schlafen können und Pornos gucken. Super“, murmelte Andreas sarkastisch und rollte sich auf der Seite liegend zu einer Kugel zusammen. Sein Magen knurrte wehmütig. Er wollte im Bett bleiben. Vor ihm lag ein langer Tag ohne Aufgaben. Er wusste jetzt schon, dass er die meiste Zeit damit vergeuden würde, sich Gedanken über Sascha, seinen prüfenden Blick und die eventuellen Schlüsse zu machen, die der Nachbar aus Andreas' unbedachten Äußerungen zog.
Verdammte Postkarten. Blinzelnd öffnete Andreas ein Auge und schielte zu seiner Pinnwand. Auf die Entfernung erkannte er keine klaren Formen; lediglich ein Meer aus Farben, das sich zu einem Malstrom unerfüllter Träume verdichtete.
Träume ... Er hatte in dieser Nacht wieder geträumt; teilweise mit offenen Augen. Seine Träume oder auch Gedankenspiele waren manches Mal so intensiv, dass sie einer Droge gleichkamen. Sie waren seine Zuflucht. Ein nagendes Gefühl in seinem Hinterkopf sagte Andreas, dass es nicht gut war, so farbenprächtig zu phantasieren. Aber er hatte schon wenig genug, als dass er sich selbst dieser spartanischen Freude berauben wollte.
Der neue Tag war da und hielt wenig für ihn bereit. Wenig oder gar nichts? Vielleicht einen Besuch, wenn Sascha den Film zurückbrachte. Hatte er nicht gesagt, dass er ihn gleich am Abend ansehen wollte? Andreas setzte sich auf. Mit zitternden Fingern griff er nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus.
Rastlos wanderten seine Augen durch seinen Käfig, während seine Gedanken rasten. Was hatte er gestern alles von sich preisgegeben? Zu viel, das war klar. Aber zwischen dem Eingeständnis, dass er das Haus nicht verlassen konnte und keinerlei Freunde hatte und der Schmach, sich wohlgesonnenen Menschen gegenüber blöd oder abweisend zu benehmen, lagen Welten.
Sascha wollte wiederkommen. Zu ihm. Vielleicht aus Mitleid, vielleicht, weil er von Andreas' DVD-Sammlung begeistert war. Es war nicht wichtig, was der Grund war. Relevant
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