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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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seines Vaters, der jetzt verloren am Tisch saß und eifrig nickte, während Courteney Holmes munter auf ihn einredete.
    Sascha war sich sicher, dass sein Papa kaum ein Wort verstand. Mitleid empfand er nicht. Wenn sein Vater nicht zugeben wollte, wie schlecht sein Englisch war, hatte er eben Pech gehabt.
    „Wie läuft es denn in der Schule?“, wandte seine Mutter sich an ihn und zeigte ein freundliches Lächeln mit ihren sorgsam nachgezogenen Lippen.
    Sie trug nur selten Make-Up. Manchmal glaubte er, dass sie ihren blass rosa Lippenstift nur zu Weihnachten und zu ihrem Geburtstag aus dem Schrank kramte. Ein Lippenstift für ein ganzes Leben. Und dann auch noch einer, der sich kaum von der Farbe ihres Mundes unterschied.
    Sascha zuckte die Achseln, legte keinen Wert auf eine Unterhaltung dieser Art. Legte keinen Wert auf eine Unterhaltung irgendeiner Art. Sonst würde er sich gezwungen sehen, über den grauenhaften Pullover zu reden, den seine Mutter für ihn ausgesucht hatte. Ein Pullover der Marke „So etwas tragen doch alle Jungen in deinem Alter gerade, wahnsinnig schick, in, modern, sieht nach Basketball aus und ist absolut hetero“.
    Nein danke.
    Katja presste ihm unter dem Tischtun warnend die Fingernägel in den Oberschenkel, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Mutter allmählich hektisch wurde.
    Sascha wusste nicht, wie viele ihrer Versuche, ein Gespräch mit ihm zu führen, er an diesem Abend bereits abgeschmettert hatte. Aber die Schmerzgrenze musste bald erreicht sein. Und wenn er ehrlich war, freute er sich darauf. Vielleicht arbeitete er sogar bewusst darauf zu.
    Er sollte sich verabschieden. Am besten täuschte er Kopfschmerzen vor und verkroch sich in sein Zimmer. Das wäre vernünftig und fair allen anderen gegenüber. Aber er brachte es nicht über sich. Saschas Bauch war voll – und damit waren nicht die köstlichen Speisen gemeint, die ihm am Anfang des Abends den Mund verschlossen hatten. Er kochte innerlich, ärgerte sich, dass seine Eltern ihm und allen anderen diesen Affentanz zugemutet hatten, nur um nicht sagen zu müssen: „Es wäre besser, wenn wir dieses Jahr daheimbleiben.“
    Selbst das verfluchte Wetter hatte ihnen in die Hände gespielt. Es wäre ein Leichtes gewesen, aus dieser Nummer herauszukommen. Aber nein, sie waren gefahren. Sascha unterdrückte ein Stöhnen, als er sich vorstellte, dass die Kapriolen des Winters noch heftiger werden könnten, sodass seine Familie nicht rechtzeitig abreisen konnte.
    „Sascha.“
    Die Stimme seiner Mutter klang eindringlich, während sie hysterisch in die Runde lächelte. Er tauschte einen Blick mit seiner Tante, die den Eindruck machte, als sehne sie sich danach, sich die Hände vor die Augen zu pressen.
    Seine Adern brannten, als er sich langsam seiner Mutter zuwandte: „Was?“
    Es erstaunte ihn selbst, wie viel Gift in einem einzigen Wort stecken konnte.
    Sein Vater rutschte nervös auf seinem Stuhl umher und Katja murmelte halblaut: „Here we go.“
    Sehr zur Verwunderung der englischsprachigen Gäste, die sich von ihr angesprochen fühlten und fragend den Kopf schief legten.
    Die Unterlippe von Karen Suhrkamp zitterte unheilbringend, als sie mit der eingefrorenen Karikatur eines Lächelns auf den Lippen zischte: „Sascha, begleitest du mich bitte kurz in die Küche? Ich möchte unter vier Augen mit dir reden. Über ...“, sie sah sich nervös um, „den Geburtstag deines Vaters.“
    Niemand glaubte ihr. Und Sascha ging hoch wie ein Streichholz in einer Feuerwerkfabrik.   
    „Nein“, sagte er eisig.
    „Wie bitte?“
    „Ich sagte Nein“, wiederholte er ein wenig lauter. „Ich gehe nicht mit dir in die Küche, damit du mir erzählen kannst, dass ich mich zusammenreißen soll. Dass ich euch nicht blamieren soll, nur weil ich gerade eine komische Phase durchmache.“
    Seine Mutter wurde kalkweiß und raunte so ängstlich, dass sie ihm fast leidtat: „Bitte, nimm dich zusammen. Sprich leiser. Das gehört hier nicht her.“
    „Was gehört hier nicht her?“, verlangte Sascha zu wissen und sprang auf. „Dass ich schwul bin und dass ihr nicht damit klarkommt? Oder dass ich mich für euch schäme, weil ihr hier einen auf glückliche Familie macht, obwohl ihr mich nach Hamburg abgeschoben habt? Oder dass ihr hier nicht willkommen seid und es das Beste gewesen wäre, wenn ihr mit eurem Arsch daheimgeblieben wärt? Was genau dürfen die anderen Leute an diesem Tisch nicht wissen?“
    „Mein Sohn, das reicht“, schaltete

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