Leben im Käfig (German Edition)
sein Vater sich unerwartet ein. „Du hast kein Recht, uns allen das Weihnachtsfest zu verderben.
„War ja klar, dass du ihr wieder beispringst, Papa“, gab Sascha finster zurück. „Aber nur zu deiner Information: Nicht ich bin es, der dieses Fest auf dem Gewissen hat. Das wart ihr, weil ihr unbedingt hier auftauchen musstet. Das wart ihr, weil ihr dieses dämliche Spiel spielt und so tut, als wäre alles in Butter. Jeder hier spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Und nur, noch einmal für das Protokoll ...“, maßlos in seiner Aufregung verlor er die Beherrschung, „ja, ich bin schwul, ich ficke Kerle und es ist mir scheißegal, was ihr davon haltet.“
Die Stimmen der anderen folgten ihm, als er um den Tisch polterte und nach draußen ging.
„Das habt ihr ja sauber hinbekommen. Echt, ich bin stolz auf euch.“
„Sascha hat Scheiße gesagt!“
„For heaven's sake.“
„Katja, halt den Mund.“
„Regt euch bitte nicht auf. Nein, Dieter, geh nicht hinterher. Lass Sascha zur Ruhe kommen.“
„Jesus Fucking Christ. What was that?“
„Carl! Language!“
„Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.“
Sina hatte sich erschrocken und begann zu weinen.
Sascha schämte sich nicht. Es hatte gut getan, das Kind beim Namen zu nennen und die verlogene Runde zu sprengen. Nur seine Cousine tat ihm leid.
Ein paar Mal lief er im Flur auf und ab, bevor er sich auf die Treppe setzte und tief durchatmete. Der Zorn brannte nicht mehr ganz so heiß in seinem Magen, aber übel war ihm trotzdem.
Noch immer hörte er die Stimmen aus dem Wohnzimmer, aber er konnte die einzelnen Worte nicht verstehen.
Er hatte seine Mutter bis auf die Knochen blamiert, aber es ging eben nicht immer um sie und ihren Wahn, alles Unangenehme im Leben unter den Teppich zu kehren. Es ging darum, dass sie sich entscheiden musste. Entweder lehnte sie ihn in aller Konsequenz ab und ließ ihn in Frieden oder sie gab sich Mühe, ihn zu verstehen. Vorne herum lächeln, wenn andere in der Nähe waren, und hinten herum treten, konnte er nicht ertragen. Dann lieber gar kein Kontakt.
Bei diesem Gedanken wurde Sascha kalt. Kontakt. Nähe. Trost. Er gestand es nicht gerne ein, aber genau danach sehnte er sich gerade. Nach jemandem, der ihn annahm und akzeptierte und schlicht lieb hatte. Jemand wie Andreas.
„Wie soll ich die drei Tage nur überstehen?“, raunte Sascha unhörbar, bewegte lediglich die Lippen zu den verzweifelten Worten.
Ein Teil der Antwort öffnete in diesem Moment die Wohnzimmertür und schlich sich an ihn heran.
Seine Schwester lächelte schief, als sie sich neben ihm setzte und ihm den Arm um die Schulter legte: „Na, großer Bruder?“
„Na, kleine Schwester“, gab er tonlos zurück. „Fallen sie da drinnen gerade über mich her?“
„Geht so“, zuckte Katja die Achseln. „Aktuell streiten sich Carl, Aiden und Courteney mit den alten Holmes', ob Homosexualität eine Krankheit ist oder nicht. Und Tanja macht Mama zur Schnecke. Papa sagt gar nichts und die Kleinen haben deinen Ausbruch vermutlich schon wieder vergessen.“
„Ich hab's allen verdorben, oder?“
„Würde ich nicht so sehen. Immerhin haben sie jetzt ein Gesprächsthema, oder? Außerdem hast du recht: Der Krach war vorprogrammiert. Wenn jemand auf deine ausgestreckte Faust zu rennt, kann er sich nicht beschweren, wenn er sich daran die Nase bricht.“
Sascha musste angesichts der Schulhofweisheit seiner kleinen Schwester schmunzeln und lehnte sich an sie. Nur ganz sacht, sodass sie wusste, dass er dankbar für ihre Anwesenheit war.
Katja senkte die Stimme, als sie fragte: „Du wärst jetzt bestimmt gerne bei deinem Freund, oder?“
„Darauf kannst du dich verlassen“, seufzte Sascha.
„Dann geh doch zu ihm. Schlimmer als jetzt kann es nicht mehr werden, glaube ich“, flüsterte sie ihm lieb zu. „Und wenn du ihn doch gerne sehen willst.“
„Vergiss es“, sagte er traurig. „Das kann ich nicht bringen. Du glaubst, unsere Eltern sind schlimm? Dann hast du noch nicht die Alten von Andreas erlebt. Wenn ich da heute Abend auftauche oder anrufe, bekommt er tierischen Ärger.“
„Noch schlimmer als unsere?“, echote Katja ungläubig.
„Japp, aber etliche Umdrehungen. Das kannst du mir glauben.“
„Armes Schwein“, murmelte sie. „Was ist mit dem Internet? Versuch ihn doch da zu erreichen. Dann könntet ihr wenigstens miteinander sprechen.“
Darauf ließ Sascha sich ein. Gemeinsam gingen die Geschwister in sein Zimmer. Er
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