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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Ärger kassierte, wenn er bei Andreas blieb? Und selbst wenn Sascha dazu bereit gewesen wäre, Andreas hätte es nicht gewollt. Nie wäre er sich sicher gewesen, ob sein Freund aus Mitleid bei ihm war oder weil er es selbst wollte. So, wie er sich gerade fühlte – abgeschoben, allein gelassen, einsam und verloren -, war er sich sicher, dass Sascha höchstens aus Mitgefühl bei ihm bleiben würde.
    Darauf konnte er genauso verzichten wie auf den Gedanken daran, wie er sich fühlen würde, wenn Sascha sich gegen ihn entschied. Ihm sagte: „Ich will nicht bei dir sein, sondern bei meiner Familie.“
    Nur ein Idiot riss seine Deckung auf und erlaubte es anderen Menschen, ihm ein Messer in die Brust zu rammen und es genüsslich umzudrehen. Er fürchtete sich zu sehr vor einer weiteren Enttäuschung, um der Hoffnung eine Chance zu geben.
    Andreas spielte. Um sich nicht zum Fenster umzudrehen und sehnsüchtig zum Nachbarhaus zu schauen. Um nicht wie ein Stalker darauf zu lauern, dass er einen Schatten hinter den weihnachtlich erleuchteten Fenstern erblickte, der vielleicht zu seinem Freund gehörte.
    Er spielte Klavier, bis seine Sicht verschwamm und er die Noten nicht mehr entziffern konnte. Bis seine Finger feucht waren und von den Tasten abrutschten. Erst dann schloss er die Abdeckung des Flügels, legte den Kopf auf die verschränkten Arme und weinte, bis die Kirchenglocken in weiter Ferne zur Mitternachtsmesse läuteten und der Heiligabend ein Ende fand.
     
    * * *
     
    Auf dem Fußboden stapelte sich zerrissenes Geschenkpapier, eingerahmt von den bunten Fetzen der Verpackung eines mächtigen Schokoladenweihnachtsmannes, den Fabian und Sina sich in seltener Einvernehmlichkeit geschwisterlich geteilt hatten.
    Die sanften Klänge des Weihnachtsoratoriums – Saint-Saëns, nicht Bach – mischten sich unter die Gespräche der Erwachsenen, die am ausgezogenen Esstisch saßen und Portwein tranken, während die Kinder zu Füßen des Weihnachtsbaums spielten.
    Sascha und Katja hockten zwischen ihren Eltern, warfen sich jedoch von Zeit zu Zeit Blicke zu, die ahnen ließen, dass sie auch lieber auf dem Teppich gekauert und sich mit ihren Geschenken auseinandergesetzt hätten.
    Die seichte Unterhaltung fand teilweise auf Englisch statt, denn Aidens Bruder Carl und seine Frau Courteney sprachen nur schlecht Deutsch. Besser sah es bei Tanjas Schwiegereltern aus, die sich viel Mühe gegeben hatten, die deutsche Sprache zu erlernen, nachdem ihr Sohn eine Deutsche geheiratet hatte.
    Der Enkelkinder zuliebe, wie sie gerne betonten.
    Sascha dachte heimlich, dass bestimmt mehr dahinter steckte. Zum Beispiel das Bedürfnis sicherzustellen, dass ihre Schwiegertochter nicht vor ihren Augen über sie lästerte, ohne dass sie sie verstehen konnten.
    Von außen betrachtet feierten sie ein beschauliches Weihnachtsfest. Zumindest so beschaulich, wie Weihnachten mit zwölf Personen über drei Generationen verteilt sein konnte.
    Es hatte viele Geschenke gegeben, liebevoll verpackt. Den großartigen Stollen, den Karen Suhrkamp jedes Jahr in rauen Mengen herstellte. Ein vielfältiges Essen, das die erwachsenen Frauen gemeinsam zubereitet hatten, um allen Wünschen gerecht zu werden. Alle gaben sich Mühe, die amerikanischen Traditionen mit den deutschen Gepflogenheiten zu vereinen, was teilweise zu seltsamen Mischungen auf den Tellern führte, aber alle in kulinarischer Hinsicht glücklich machte.
    Sascha war nicht glücklich. Er kam sich vor wie der Faden einer Spinne, der über Gebühr straff und straffer gespannt wurde. Er hasste den Small Talk zwischen den einzelnen Familienmitgliedern, das verlogene Lächeln, das die vorhandene Anspannung verleugnen sollte.
    Oh, er wusste, was in seinen Eltern vor sich ging; besonders in seiner Mutter. Sie wollten um jeden Preis vermeiden, dass die Holmes' witterten, wie schlecht das Verhältnis zu ihm zurzeit war.
    Nur mit Mühe gelang es Sascha, sein höhnisches Grinsen im Zaum zu halten. Vergebene Liebesmüh.
    Aidens Eltern waren nicht dumm. Sie wussten, dass Sascha bei ihrem Sohn und seiner Familie eingezogen war. Sicher hatten sie schon wild spekuliert, was ihn aus dem Haus seiner Eltern vertrieben hatte. Einzig der Anstand hielt sie davon ab, neugierig zu fragen. Oder hatte Tanja sie um des lieben Friedens willen sogar aufgeklärt?
    Das würde das Verhalten der Suhrkamps nur umso peinlicher machen. Das freundliche Getue seiner Mutter. Ihre Umarmung, als sie ihn begrüßte. Das stolze Schulterklopfen

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