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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Erziehungsberechtigten eine Instanz gab, die sie nie zufriedenstellen konnten.
    “Na, Junge?“ Der ältere Herr musterte den jüngsten Sprössling der Familie ausgiebig von oben bis unten. “Du siehst besser aus als bei meinem letzten Besuch. Bisschen Farbe im Gesicht. Ausgezeichnet. Nur deine Haare ...“
    Die Musterung zu Beginn des Essens hatte stets etwas Militärisches an sich, doch Andreas störte sich nicht daran. Seine Krankheit oder sein exzentrisches Wesen waren kein Thema, mit dem der Großvater ihn konfrontierte. Er kommentierte lediglich gute Phasen und schwieg, wenn es seinem Enkel schlechter zu gehen schien.
    Vor drei Jahren hatte Andreas ein Gespräch zwischen den Erwachsenen mitangehört, in dem es um ihn ging. Von Lauschen konnte keine Rede sein, denn der Streit war bei offener Tür im Arbeitszimmer ausgetragen worden.
    Sein Großvater hatte damals den Standpunkt vertreten, dass Andreas sich fangen würde; früher oder später. Und er hatte davon gesprochen, wie wichtig es war, Heranwachsenden Zeit zu geben, sich selbst zu finden. Damals war Margarete hysterisch geworden und hatte das Zimmer aufgelöst verlassen. Andreas wusste bis heute nicht, warum.
    Für ihn war nur der überzeugte Tonfall seines Großvaters wichtig gewesen. Er hatte entschlossen geklungen; ganz so, als würde er mit jeder Faser seiner Selbst an Andreas glauben. Das war eine angenehme Abwechslung gewesen.
    “Die Haare bleiben dran“, sagte er wie jedes Mal mit einem Augenzwinkern, wenn Gustav von Winterfeld sich über seine lange Mähne ausließ. “Wer weiß, wie lange sie noch so wachsen. Ausgehen werden sie früh genug.“
    “Kein Mann in unserer Familie hat mit frühzeitigem Haarausfall zu tun gehabt“, entrüstete sich der Großvater milde. Dabei schoss er einen schrägen Blick in Richtung Richard, dessen Geheimratsecken mit jedem Jahr tiefer wurden.
    “Das Essen dürfte gleich fertig sein“, schaltete Margarete sich ein und setzte sich still wie ein wohlerzogenes Schulmädchen auf ihren Stuhl. Ihr Blick wanderte zwischen den drei Männern am Tisch umher, und ihr war anzusehen, dass sie von Herzen gerne woanders gewesen wäre. Jeder Stich gegen ihren Mann war auch ein Stich gegen sie, wurde ihr doch permanent ihre vermeintlich falsche Entscheidung unter die Nase gerieben.
    Andreas lehnte sich zurück und wartete entspannt, wie sich die Muppet Show ala von Winterfeld dieses Mal entwickeln würde.
    Das argentinische Steak war hervorragend, auch wenn es der Hausherrin sichtlich schwerfiel, sich auf ihr Gemüse zu konzentrieren, während sich aus dem Fleisch der Männer roter Fleischsaft löste. Es war kein Blut, auch wenn man in der Umgangssprache von blutigen Steaks redete. Für Margarete sah es aber danach aus. Sie ekelte sich.
    Andreas' Bemerkung, dass ein ordentliches Steak eben noch in der Lage sein müsse, zu muhen, brachte ihm einen bösen Blick und zwei Mal zustimmendes Nicken ein. Vom Wein hielt er Abstand. Er wusste aus Erfahrung, dass er davon Kopfschmerzen bekam.
    Eine Spielregel, während der Mahlzeit keine geschäftlichen Dinge zu besprechen, gab es bei ihnen nicht. Entsprechend wurde von Andreas nicht erwartet, dass er sich am Tischgespräch beteiligte.
    Anfangs folgte er noch mit halbem Ohr der Diskussion um das Vorgehen in der Firma. Echtes Interesse hatte er nicht. Die Welt der Wirtschaft war ihm so fern wie der Mond.
    Viel spannender war da zu beobachten, wie sehr seine Mutter sich bemühte, den Eindruck zu erwecken, dass sie die Zügel in Sachen Konzern in der Hand hielt. Sie machte ihrem Vater etwas vor und alle vier Anwesenden wussten es, was ihr Verhalten reichlich peinlich machte.
    Als seine Eltern kleinlauter wurden und die Stimme seines Großvaters ungehaltener, vertiefte Andreas sich mehr und mehr in sein Dessert und seine eigene Gedankenwelt.
    Wie ein hartnäckiger Schatten näherte sich Sascha seinem Geist und ergriff von ihm Besitz. Sucht. Es war eine Sucht und Andreas war abhängig und wollte es bleiben. Er hatte keine Worte dafür, wie sehr die neue Bekanntschaft ihn beflügelte.
    Auf einmal gab es einen Grund zum Aufstehen, zum Duschen, zum Rasieren, zum Nachdenken, zum Aufräumen und den neuen Tag mit Hoffnung gegenüberzutreten. Besonders gefiel ihm die stumme Verbundenheit, die sie miteinander teilten. Beide hatten Schwierigkeiten, wussten um die Probleme des anderen, aber machten keine große Sache daraus. Es war tröstlich zu wissen, dass andere Söhne ebenfalls mit ihren Eltern

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