Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
bitte?“
„Bei Verhofen ist Ihnen das ja gelungen. Ich bin kein Idiot, ich weiß, woher Sie das mit der Handtasche von Franziska Dasch haben. Ich hab ihm schon den Kopf gewaschen.“
„Ich habe meine eigenen Kontaktleute“, erwidere ich kraftlos. Darum geht es doch nicht, nicht jetzt. Nicht mehr.
„Kann gut sein, dass der arme Junge versetzt wird. Und das, wo er gerade erst zurückgekommen ist. Und wirklich hervorragende Karrierechancen hatte.“
„Wir sind auf der Baustelle“, sage ich.
„Daher der Lärm. Was für eine Baustelle? Was ist das für ein Trick?“
„Bei der Recyclinganlage. Carmen ist verschwunden.“
Stille in der Leitung.
„Carmen Stiller. Oskars Tochter. Und eine Jüngerin von Weis. Seit Kurzem“, brülle ich dann gegen den Lärm an.
Ich höre Zuckerbrot fluchen.
Wir warten auf der Zufahrtsstraße. Plötzlich hat sich etwas verändert. Für einen Moment weiß ich nicht, was es ist.
„Sie haben Anlage abgeschaltet“, flüstert Vesna.
Eine der lautesten Stimmen im Baustellenchor fehlt. Wir starren hinüber. Die Anlage ist gute hundert Meter von unserem Platz entfernt. „Vielleicht haben sie etwas gefunden“, sage ich beinahe tonlos.
Vesna schüttelt den Kopf. „Zuckerbrot wird Befehl gegeben haben.“
Ich probiere noch einmal, Carmen zu erreichen. Ich lande wieder bei der Tonbandstimme. „Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.“ Vorübergehend. Das ist das Einzige, woran ich mich im Moment klammern kann.
Wir erzählen Zuckerbrot, was wir wissen und was wir vermuten. Jetzt geht es nicht mehr darum, einen möglichst guten Ausgangspunkt für die nächste Reportage zu haben. Jetzt geht es um das Leben von Carmen. Ich habe gehofft, Zuckerbrot würde Verhofen mitbringen. Warum? Damit er mich trösten kann, weil ich womöglich die Tochter meines Mannes in den Tod gehetzt habe? Denke so etwas nicht, du darfst so etwas gar nicht denken, Mira. Du musst klaren Kopf bewahren. Carmen wird wieder auftauchen. Vielleicht hat sie jemanden kennengelernt. Dann werde ich ihr aber meine Meinung sagen. Da ist Erziehungsarbeit …
„Und wo ist Oskar Kellerfreund?“, fragt Zuckerbrot. Ich schrecke auf. „Im Flugzeug. Er kommt in eineinhalb Stunden am Flughafen an. Er … weiß von nichts.“
Zuckerbrot schüttelt den Kopf. Seit er mit seinem Trupp gekommen ist, hat er mir keine Vorhaltungen gemacht. Nur ernst geschaut und eine Menge Fragen gestellt. Auch zu meinem Unfall. Auch dazu, was Carmen über Weis erzählt hat. Auch zum Treffen zwischen Weis und Dasch. Auch zu „Natascha“. Es ist kein gutes Zeichen, gar kein gutes Zeichen.
Der Trupp der Spurensicherung arbeitet sich durch die Recyclinganlage. Eine Polizeibeamtin mit blondem Pferdeschwanz befragt gemeinsam mit einem Kollegen die Arbeiter. Einen nach dem anderen. Sie scheint kaum älter als Carmen zu sein.
„Okay“, sagt Zuckerbrot dann. Der Beamte neben ihm dreht das Aufnahmegerät ab. „Ich komme gleich nach“, sagt er zu ihm. Der nickt, steht auf und geht zur Anlage.
Zuckerbrot sieht hinüber zum Eisenmonster, dann fragt er uns: „Gibt es irgendetwas, das ich ohne Aufnahmegerät und Zeugen wissen sollte?“
Ich habe alles gesagt. Ich sehe Vesna an. Sie sieht mich an. Sie schüttelt den Kopf. Da gibt es nichts mehr. Diesmal haben wir alles erzählt. Und dann fällt mir doch noch etwas ein. Es hat nicht unmittelbar mit dem Fall zu tun. Aber von Anwalt Klein und seinem Versuch, Zerwolf zu belasten, weiß er noch nichts. Ich erzähle es Zuckerbrot und frage dann, ob es möglich sei, das vertraulich zu behandeln. Immerhin gehe es um die Zulassung des Anwalts. Immerhin habe Weis den Anwalt unter Druck gesetzt.
Zuckerbrot schüttelt bloß den Kopf. Und er trägt uns auf, von der Baustelle zu verschwinden. Und uns aus allen Ermittlungen rauszuhalten. Er meine das ganz ernst, sonst lasse er uns in Gewahrsam nehmen. Ich nicke müde.
„Und bleiben Sie die nächste Zeit über zusammen. Besser, keine von Ihnen ist allein unterwegs, verstanden?“
Wir nicken beide und steigen in Vesnas Auto. Ich sehe zurück zum Trupp der Spurensicherung in den weißen Plastikanzügen. Was werden sie finden?
Vesna fährt los Richtung Wien. Nach einigen hundert Metern biegt sie scharf nach links ab. „Dort oben müsste Platz sein, wo wir mit Fernglas auf Anlage sehen können“, sagt sie.
„Was sollen wir sehen?“, frage ich und mir schaudert. Ich muss Oskar informieren. Bevor es jemand von der Polizei
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