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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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sicher?“
    „Ich muss versuchen, mit ihm zu reden.“
    Vesna nickt. „Er wird bei Polizei sein. Er soll nicht glauben, du schnüffelst bei ihm herum.“
    „Das glaubt er nie“, fahre ich auf.
    „Momentan glaubt er alles“, seufzt Vesna.

[ 12. ]
    Wir kurven durch die Stadt. Wir haben alles hundertmal durchgesprochen. Wir kommen zu keinem neuen Ergebnis. Oskar hat sich nicht gemeldet. Ich erwarte keine Entschuldigung. Ich verstehe ihn. Ich hoffe nur, dass er mir zuhört. Vielleicht hat Carmen irgendetwas zu ihm gesagt, das uns weiterhelfen kann. Vesna bremst abrupt ab. Ich stöhne auf. Die Schmerztablette wirkt, aber Druck auf den Brustkorb … Eine Frau überquert, ohne zu schauen, die Straße. Sie ist nicht alt, sie wirkt verloren. Man hat den Typ im roten BMW noch nicht gefasst. Sonst hätte mir die Versicherung Bescheid gegeben. Die Versicherungsangestellte hat es mir jedenfalls versprochen.
    „Wenn wir nur wüssten, was Carmen sonst getan hat, ob sie Freunde in Wien hat. Haben uns irgendwie nicht sehr gekümmert um sie“, sagt Vesna und fährt wieder los.
    Stimmt. Ich habe kaum mit ihr gesprochen. Zuerst war ich eifersüchtig. Natürlich hat Oskar recht, ich war eifersüchtig. Und dann … hat sie uns gut ins Konzept gepasst. Wer Oskars Tochter wirklich war, hat mich offenbar nicht interessiert. War. Nein. Ist. Die Polizei wird ihre Mutter verständigt haben. Sie wird kommen. Oskar wird seine alte Flamme wieder treffen. Und ich habe ihr Kind auf dem Gewissen. Stopp, Mira. Das ist zu melodramatisch. Ich habe einen schweren Fehler gemacht. Aber es war Carmen selbst, die zu Weis wollte. Noch ist nicht klar, was mit ihr geschehen ist.
    „Carmen hat einmal von einem netten Lokal gesprochen, ich kenne es nicht, es gibt so viele neue Lokale in Wien. Es heißt Krokodil“, überlege ich laut.
    „Ja, hat sie gesagt, als wir bei mir in Küche gesessen sind. Ich kenne es auch nicht. Wir werden nachsehen, wo es ist.“
    Vesna telefoniert mit ihrer Cousine, die im Büro der Reinigungsfirma sitzt, und erklärt ihr ungeduldig, wie einfach es ist, die Adresse eines Lokals herauszufinden.
    „Fran hat ihr Computerkurs gegeben, aber sie ist so langsam“, stöhnt Vesna.
    Es dauert trotzdem nicht lange und wir wissen: Das „Krokodil“ ist im 5. Bezirk, gar nicht weit entfernt von meiner Wohnung. Ich sitze apathisch neben Vesna, die irgendwelche Straßen, irgendwelche Gassen abfährt, als würden wir Carmen finden, wenn wir nur lange genug unterwegs sind.
    „Ich finde verdammte Gasse nicht“, sagt Vesna wenig später.
    „Ich weiß auch nur ungefähr, wo das ist“, sage ich. Wien kommt mir heute ohnehin anders vor. Größer. Unüberschaubar. Ein Labyrinth. Mein Navi wäre jetzt gut. Aber das ist in meinem kaputten Auto. Wahrscheinlich auch kaputt. Doch das ist im Augenblick mein geringstes Problem. „Hier abbiegen“, sage ich dann. Wir sind in der richtigen Gasse und stellen fest, dass das „Krokodil“ erst um neunzehn Uhr aufsperrt.
    „Bring mich zu Oskar“, wiederhole ich. „Wenn er nicht da ist, dann warte ich auf ihn.“
    Ich läute an der Gegensprechanlage. Ich sperre auf und fahre mit dem Lift nach oben. Vielleicht zum letzten Mal. Ich mag diesen Lift. Ich hab mich an ihn gewöhnt wie an das großzügige Treppenhaus, die hohen Fenster, die seltsame Hausvertrauensfrau mit ihren zwei Königspudeln mitten im 1. Bezirk. Alle drei scheinen denselben Friseur zu haben. Oft genug habe ich mich nach meiner eigenen Wohnung gesehnt und jetzt: Ich will nicht weg von hier. Ich brauche das beruhigende Gefühl, mit dem Lift nach oben zu fahren, und in der Dachgeschosswohnung ist jemand. Oder kommt heim. Später. Wenn ich vor dem Laptop oder vor dem Fernseher sitze. Wenn ich koche oder auf dem Sofa liege und lese. Ich brauche das Geräusch, das er macht, wenn er in der Früh die Terrassentüre aufschiebt. Es ist, als würde er den neuen Tag hereinlassen. Brauche die Terrasse und die viele Luft um mich, den Blick über die Innenstadt von Wien, nicht weil es luxuriös ist, sondern weil es mir den Kopf frei macht, wenn ich über die vielen Häuser schaue, über die vielen Wohnungen, wenn ich an die Menschen denke, die hier die Jahrhunderte hindurch gelebt und geliebt und Geschäfte gemacht haben, und jedem waren so viele Kleinigkeiten wichtig, es galt Entscheidungen zu treffen, man hatte viel oder auch nichts zu essen, man hatte Angst, dass am nächsten Tag das Haus nicht mehr stehen würde, oder hatte Ärger, weil die

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