Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
habe ich schon gesehen.“
„Wann?“, sagt Vesna laut.
„Ist irgendetwas mit ihr?“, fragt Berger.
„Wir wollen nur wissen, wann Sie Carmen zum letzten Mal gesehen haben“, präzisiere ich. Man muss ihm nicht alles auf die Nase binden. Gut möglich, dass er es Weis weitererzählt.
„Das ist wohl schon etwas her …“, überlegt er dann. „Zwei, drei Tage … Aber ich kann natürlich nicht sagen, ob sie zu einem Zeitpunkt da war, an dem ich nicht da war.“
Vesna verdreht die Augen. „Logisch. Hat es Streit zwischen ihr und Weis gegeben? Irgendetwas Besonderes?“
„Nein, nicht dass ich wüsste … Oder …“
„Oder was?“, frage ich ungeduldig.
„Sie waren im Garten … Ich bin mir nicht sicher … Es könnte sein, dass da eine Auseinandersetzung war … Aber ich kann es nicht wirklich sagen …“
„Gibt es sonst jemand, der vielleicht etwas mitbekommen hat?“, fragt Vesna.
Berger schüttelt langsam den Kopf. Nein. Leider. Tue ihm leid. Worum es denn eigentlich gehe.
Ich überlege. Vielleicht kann Berger uns helfen, vielleicht ist es ganz gut, wenn er Bescheid weiß. „Carmen ist seit einigen Tagen verschwunden. So wie Franziska Dasch vor ihr.“
Jetzt starrt uns Berger an. „Und woher kennen Sie Carmen eigentlich?“
Das klingt so, als würde er doch wissen, um wen es sich handelt.
„Zufall“, sage ich. Und irgendwie ist es ja auch Zufall.
„Sie wird schon wieder auftauchen“, versucht uns Berger zu beruhigen.
„Hoffentlich nicht recycelt“, antwortet Vesna.
Ich versuche, nicht an die braunen, grauen, schwarzen, spitzen, kieselsteingroß zermahlenen Asphaltbrocken zu denken, und tue es dennoch.
Eine halbe Stunde später sind wir bei der Autobahnbaustelle. Inzwischen fände auch ich den Weg schon ohne Navigationsgerät. Vesna parkt wie beim letzten Mal am Rand der kleinen Zufahrtsstraße. Wir halten Ausschau nach Slobo. Einige Arbeiter sind bei der Anlage unterwegs, ein Lkw lädt gerade Asphaltbrocken ab. Ein übergroßer gelber Bagger versorgt das ewighungrige Recyclingmonster mit neuer Nahrung. Wenn Carmen da irgendwo drin ist … Man muss die Mördermaschine sofort stoppen. Lärm. Staub. Hitze. Die Kaltfront lässt immer noch auf sich warten. Ein großer, schwerer Mann kommt aus der Halle. Slobo.
„Du bleibst hier, ist weniger auffällig“, sagt Vesna und geht eilig auf ihn zu. Sie reden, Slobo schüttelt immer wieder den Kopf. Dann kommen beide her zu mir und Vesna sagt: „Slobo hat nichts Besonderes gesehen.“
Slobo nickt. „Sind schon immer wieder Fetzen und Holzstücke und andere Teile im Material, aber das ist normal, sagen Kollegen.“
„Er glaubt nicht, dass hier noch etwas passieren kann. Alle passen auf. Und die Nachtwachen auch“, ergänzt Vesna.
„Was, wenn die Leiche in einem der Lkw mit Asphalt steckt? Schaut doch keiner so genau hin“, frage ich Slobo.
„Ich schaue hin“, sagt Slobo etwas gekränkt.
„Und wenn du zum Beispiel gerade in der Halle bist?“, rede ich weiter.
Slobo nickt. „Was soll ich tun?“
„Du redest mit deinen zwei Freunden und mit den anderen Arbeitern hier, fragst sie, ob sie in den letzten Tagen etwas Besonderes bemerkt haben“, sagt Vesna.
Nach dem Verschwinden von Franziska Dasch ist es allerdings unwahrscheinlich, dass etwas Außergewöhnliches nicht sofort besprochen würde, denke ich mir. Aber man darf nichts unversucht lassen. Wir gehen zum Förderband und starren auf die vielen Asphaltbröckchen.
Vollkommene Auslöschung der physischen Existenz, denke ich verzweifelt. Zumindest sieht es so aus. Dabei ist alles noch da, nur fein verteilt. Mira, hör auf mit so etwas. Das bringt jetzt nichts. Ich muss nachdenken. Nachdenken.
Vesna packt mich an der Schulter. „Wir können auf Material schauen, wir können herumgehen, wir können mit Slobo reden, und niemand von der Anlage hat etwas dagegen. Sie scheinen es gar nicht zu bemerken. Da ist alles möglich. Immer noch.“
Ich weiß nicht mehr weiter. Wo ist Carmen? Wo kann ich sie finden? Kann ich sie finden? Ist sie ausgelöscht, nur noch Partikel zwischen Steinen? Die schöne, junge Carmen, Oskars Tochter. Und ich daran schuld. Polizei. Ich starre in Vesnas Gesicht.
Ich wähle Zuckerbrots Nummer.
„Und? Was für ein Spielchen wird das jetzt wieder?“, sagt Zuckerbrot anstelle einer Begrüßung. Wenigstens hat er abgehoben.
„Ich muss etwas melden …“, beginne ich.
„Glauben Sie wirklich, dass Sie alle um den Finger wickeln können?“
„Wie
Weitere Kostenlose Bücher