Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
wir lieber nicht am Mobiltelefon reden“, gebe ich zu bedenken.
Verhofen lacht. „Das ist ziemlich unbedenklich, glauben Sie mir. Es wird viel weniger abgehört, als alle denken, und aus dem Umstand, dass unsere beiden Nummern auf einer Telefonliste aufscheinen, kann in einem Fall wie diesem keiner etwas Böses ableiten.“
„Danke“, sage ich. „Ich melde mich.“ Ich eile über die Donaukanalbrücke. Frühverkehr, Lärm, Abgase. Ich blicke sehnsüchtig hinunter aufs Wasser. Es ist sonnig. Ich will zur Donau. In Ruhe einen Campari trinken und so tun, als wäre ich hier auf Urlaub. Allein der Gedanke lässt mich aufleben. Okay, ein Teil meiner Informationen ist inzwischen allgemein bekannt. Der andere Teil ist es – zumindest bis jetzt – noch nicht. Mal sehen, ob sich etwas aus den Gewinnerlisten ableiten lässt.
Die E-Mail muss gleich, nachdem ich gestern die Redaktion verlassen habe, gekommen sein. War mir nicht klar, dass man beim E-Mail-Verschicken vorsichtiger sein sollte als beim Telefonieren. Ich öffne das Attachment. Die Liste mit den Preisträgern. Einige Autoren kenne ich, sogar eine meiner Lieblingsautorinnen ist dabei, ein paar der heuer ausgezeichneten Bücher habe ich gelesen. Von anderen wiederum habe ich noch nie gehört. Also gut: Zuerst einmal die Frage, ob eines der Bücher oder einer der Preisträger in besonderem Maß mit dem Islam, mit Krisenherden, Krieg, mit extremen Positionen zu tun haben könnte. Auf den ersten Blick nicht. Ein alternder Mann, der sich sicher nicht dafür hält, schreibt einen Roman über einen alternden Mann. Das scheint Mode zu sein. Eine ehemalige Fernsehmoderatorin schreibt ein Lebenshilfebuch. Zwar irgendwie krass, aber auch nicht extrem in dem Zusammenhang, der mich interessiert. Im angeblich besten Krimi des Jahres ermitteln zwei Frauen. Oje, weit an der Realität vorbei. Der Autor, mit dem ich nach der Rathausevakuierung gesprochen habe, hat den zweiten Preis bekommen. Familiensaga. Ich wünsche ihm, dass es sich nicht um seine Familie handelt, sonst hat er die nächsten Monate eine Menge Schwierigkeiten am Hals. Verwandte haben es nicht so gerne, wenn sie in einem Buch vorkommen. Aha. Hans Glück, der Typ, von dem der langweilige Moderator auf der Bühne so geschwärmt hat, ist leer ausgegangen. Ich habe ein Buch von ihm gelesen und es weder besonders gut geschrieben noch spannend erzählt gefunden. Befindlichkeitsgeschwätz. Wer will schon wissen, wie es einer Kunstfigur geht, die deutlich an den Autor selber erinnert? Ich will ihn mir weder beim Onanieren noch auf seinem Trip durch eine ausgestorbene Stadt vorstellen. Ist einfach nicht interessant. Wenn Hans Glück allerdings ähnlich eitel ist wie seine Buchfigur, dann hält er es schlecht aus, bei den Preisen übergangen worden zu sein. Aber macht einen ein verpasster Preis zum Bombendroher? Ganz abgesehen davon, dass Hans Glück vorzeitig Bescheid gewusst haben müsste, dass er keinen Preis kriegt. Und wenn er es tatsächlich gewusst hat? Vielleicht braucht er Stoff für seinen nächsten Roman. Ich werde versuchen, ein Interview mit ihm zu bekommen. Vor allem aber brauche ich Platz, um die Liste abzudrucken.
Ein Gesicht hinter dem Grünpflanzendschungel. Ich kann es im Gegenlicht zuerst nicht ausnehmen. Feindlicher oder freundlicher Indianer? Der Chefredakteur. Für gewöhnlich freundlicher Indianer.
„Würde es dir etwas ausmachen, wenn du mir den Text der Reportage rüberschickst? Nur zum Durchsehen, falls mich jemand etwas fragt.“ Ihm ist nicht ganz wohl bei der Bitte, es ist bei uns nicht üblich, Reportagen vorab zu lesen. Außer es handelt sich um die Titelstory. Oder soll der Bombenalarm doch noch Blattaufmacher werden?
Ich lächle. „Ich wollte ohnehin mit dir reden, ich brauche mehr Platz. Ich hab die Liste mit den Preisträgern der Buchgala. Ich würde gern noch mit einem, der eher überraschend leer ausgegangen ist, ein Interview machen.“
„Wer ist es?“, fragt der Chefredakteur und zieht wenig später die Luft durch die Nase. „Hans Glück. Damit hat er wohl nicht gerechnet.“
„Weißt du, wie der wirklich heißt?“, frage ich.
Chefredakteur Klaus schüttelt den Kopf. „Keine Ahnung.“
„Ich schicke dir alle bereits fertigen Teile der Reportage. Bekomme ich mehr Platz?“
Klaus starrt in meinen Philodendron. „Es ist ziemlich spät dafür. Aber wir machen die Story zum Aufmacher. Die Wirtschaftskrise haben wir ohnehin schon hundertmal rauf und runter gespielt. Du
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