Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
gut kenne. Ich habe Carmen allein gelassen, sie soll sich einleben, in Ruhe auspacken. Ich kann jederzeit hierher zurück, wenn ich es nur will. Kein Grund zu Sentimentalität. Ich rufe beim „Magazin“ an. Der Chronikchef hat sich in einer E-Mail an alle Ressortchefs beschwert, dass das „Blatt“ die Nase vorn habe. Wer bitte hat als Erste über das Verschwinden von Franziska Dasch geschrieben? Aber es stimmt: Nichts ist so alt wie die Schlagzeilen von gestern. Alles in allem jedenfalls kein Grund, in die Redaktion zu fahren. Ich habe vor, mit dieser Ida Moylen ein Wörtchen zu reden. Immerhin war ich bis vor Kurzem Co-Autorin von Weis. Ich werde dagegen protestieren, dass Weis versucht, mich loszuwerden. Sie muss ja nicht wissen, dass es mir nur recht ist, vorausgesetzt, ich bekomme mein Honorar.
Ich stehe wieder vor dem Haus im 2. Bezirk, in dem der Verlag untergebracht ist. Weder das Gebäude noch die Verlagsräume sind besonders eindrucksvoll, ich nehme an, die Konkurrenz auf dem Lebenshilfe- und Esoteriksektor ist ziemlich groß. In Zeiten wie diesen fühlt sich bald einer berufen, Heilslehren zu verbreiten. Seltsam eigentlich, dass diese Bücher überwiegend von Männern geschrieben, aber vor allem von Frauen gelesen werden. Kann es sein, dass sich gewisse alte Muster in neuen Kleidern erhalten? Männer sagen, wo es langgeht. Na ja. Nicht mehr immer. Außerdem: Seitdem die heilige Weltwirtschaft kriselt, beginnen auch Männer nach einem Mehrwert im Leben zu suchen. Wenn man sich schon nicht mehr an Geld und Erfolg festhalten kann, dann vielleicht an etwas anderem, was immer das auch sein soll. Weis wird es ihnen schon erzählen. Und wer an ewig boomende Aktienkurse und Luftgeschäfte glauben konnte, dem sollte man eigentlich auch anderen Mist einreden können. Hoffentlich weiß die Sekretärin nicht, dass mich Weis rausgeworfen hat. Wahrscheinlich steht Moylen auch in diesem Fall treu zu ihm. Die Sekretärin war bisher eigentlich sehr nett. Ich läute.
„Ja?“, sagt eine weibliche Stimme durch die Gegensprechanlage.
„Mira Valensky“, antworte ich.
„Aber sicher nicht“, sagt die Stimme und ich fürchte, das ist nicht die Sekretärin, sondern die Chefin persönlich. So leicht bin ich nicht abzuwimmeln, ich habe von Vesna im Laufe der Jahre einiges gelernt. Ich läute einfach bei „Mayer“.
„Ja?“, sagt eine Männerstimme.
„Guten Tag, ich komme von der Post und soll die Hausbriefanlage überprüfen. Leider ist noch niemand von der Hausverwaltung da. Könnten Sie bitte öffnen?“
Der Summer geht und ich bin drin. Und wie ich an der Verlagstür läute, geht auch diese Tür mit elektrischem Summen auf. Offenbar ist die Sekretärin von ihrer Pinkelpause zurück. Oder Ida Moylen ist sicher, mich losgeworden zu sein, und erwartet jemand anderen. Ich bin richtig stolz auf mich.
„Zu Frau Moylen bitte“, sage ich zur Sekretärin. Gleichzeitig geht eine Tür auf, Ida Moylen schaut heraus, kann kaum glauben, dass sie mich sieht.
„Wir haben etwas zu besprechen“, sage ich zu ihr.
„Wie sind Sie reingekommen?“
Ich zucke mit den Schultern. „Behandeln Sie alle Verlagsautoren so?“
„Sie waren nie Verlagsautorin. Nur ein Helferlein, auf dessen Hilfe wir unter den gegebenen Umständen lieber verzichten.“
Die Sekretärin verfolgt unser Wortgefecht interessiert. Das ist wie Fernsehen, nur schöner. Ich kann ihr gleich noch etwas mehr Soap liefern.
„Sie tun immer, was Weis möchte?“, frage ich spöttisch.
Die Verlegerin sieht mich böse an. „Wenn Weis nicht mehr mit Ihnen arbeiten will, dann ist das seine Sache. Ich bin jedenfalls damit einverstanden. Ich kann es verstehen, nach diesem Artikel.“
„Könnte dieses Verständnis auch etwas mit Ihrem … natürlich rein spirituellen Naheverhältnis zu tun haben?“
Moylen starrt von mir zu ihrer Sekretärin und wieder zu mir. „So eine … Frechheit! Kommen Sie mit.“
Offenbar will sie die Sache doch nicht im Beisein ihrer Sekretärin abhandeln. Und so stehe ich schon wieder im Besprechungszimmer des Yom-Verlags.
„Wenn Sie Derartiges öffentlich behaupten, klage ich Sie“, droht die Verlegerin.
„Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass Weis nicht nur bei Ihnen das spirituelle Naheverhältnis sehr weitreichend auslegen könnte?“
Der Mund von Ida Moylen wird zu einem Strich. Sie sieht mich wütend an.
„Franziska Dasch ist reich und einsam und ziemlich attraktiv, oder?“, hake ich nach.
„Das ist doch bloß
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