Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
bereits alles gehöre. Sie ist schon in der Küche. Ausgerechnet dort. Kann sie nicht fragen? Verwöhntes Kind. Man nimmt sich, was man möchte. Vesnas Zwillinge. Die sind um einige Jahre jünger als Carmen. Die haben gelernt zu fragen. Und sie kämen nie auf die Idee, nach einem Studium noch ein Studium zu machen und davon auszugehen, dass die Eltern das finanzieren. Okay, wäre auch ziemlich unrealistisch. Sowohl Fran als auch Jana arbeiten im Betrieb von Vesna mit. Teilweise im offiziellen Bereich „Reinigung“, teilweise im inoffiziellen Bereich „Nachforschungen“. Fran ist so begabt, dass er ein Jahresstipendium für Computerwissenschaften in Chicago bekommen hat. Und Jana hat vor, in Chicago zu jobben. Geht sich sonst finanziell nicht aus. Babysitten oder servieren, hat sie gemeint. Sie hat sich selbst organisiert, dass sie auf dem Campus von Fran wohnen darf. Die beiden wissen, was sie wollen. Zumindest meistens. Auch wenn es Vesna nicht immer gefällt. Janas Mädchenbande zum Beispiel, die hinter bosnischen und türkischen Machos her war. Ich lächle. Wer weiß schon immer, was er will? – Was tut Carmen in der Küche? Sie wird doch nicht etwa kochen? Meine Garnelen … Wäre ich wirklich nett, ich würde sie für uns zwei zubereiten. Was will ich? Was die Garnelen angeht oder das Leben ganz generell? Ich weiß es nicht einmal, was die Garnelen betrifft. Vielleicht sollte ich mit Zerwolf darüber reden. Da gäbe es so einiges, worüber ich mit ihm reden sollte. Aber er wird wohl nicht jede Nacht so gesprächig sein. Ob er wirklich joggt und dabei hinter einsamen Frauen herhetzt? Zerwolf. Werwolf.
Es läutet. Oskar. Kann es sein, dass er schon zurück ist? Die Garnelen werden für uns drei reichen. Viel besser, er ist mit dabei, wenn ich nett zu Carmen bin und schon wieder für sie koche. Nein. Es hat unten an der Gegensprechanlage geläutet. Vesna. Auch nicht schlecht zur Unterstützung. Ich warte an der Eingangstür auf sie. Lift. Lifttür. Vesna, die mit der Abendausgabe des „Blatt“ wedelt:
„Terror in Wien – Berühmter Philosoph unter Doppelverdacht!“
Carmen ist neugierig aus der Küche gekommen.
„Meine Freundin Vesna“, sage ich kurz angebunden, keine Zeit für Förmlichkeiten. Weis hat wohl mit meinen Freunden von der Konkurrenz gesprochen. Oder stammen ihre Informationen von der Polizei? Was weiß das „Blatt“, was ich nicht weiß? Ich nehme die Zeitung und lege sie auf den Esstisch.
„Sind nur Vermutungen, wenn man genau liest“, sagt Vesna.
„Es muss was dran sein, das ‚Blatt‘ lässt sich nicht gerne klagen, zumindest verliert es nicht gerne“, entgegne ich. Okay, die Schlagzeile ist klug formuliert. Dass Zerwolf auf der Liste der Verdächtigen steht, hat mir Verhofen ja zumindest indirekt bestätigt.
Ich lese den Artikel, er ist tatsächlich weder lang noch fundiert. Der „Philosoph Z.“ wird verdächtigt, hinter der Bombendrohung im Rathaus zu stecken. Und Z. wird verdächtigt, mit dem Verschwinden von Franziska Dasch zu tun zu haben. In erster Linie werden des „berühmten Philosophen“ angebliche Terroristenkontakte breitgetreten. Außerdem wird ein „seriöser Beobachter“ zitiert, der aus Angst vor weiteren Drohungen lieber anonym bleiben möchte. Er will beobachtet haben, dass Z. während der Gala verschwunden ist, Franziska Dasch sei ihm wenig später gefolgt. Unsinn, es war genau umgekehrt. Aber ist das wichtig? Erwähnt wird außerdem, dass gegen Z. seit Längerem Anzeigen von Frauen wegen nächtlicher Belästigung vorlägen. Worin die bestanden haben soll, wird nicht erwähnt. Jedenfalls habe er bisher zu den Vorwürfen geschwiegen. Sehr originell. Der Reporter (leider scheint sein Name, wie häufig beim „Blatt“, nicht einmal als Kürzel auf) gibt noch zu bedenken: Z.s abfällige Bemerkungen über gesellschaftliche Ereignisse seien berühmt. Warum habe er dann ausgerechnet für eine Gala seine Einsiedelei verlassen? Ein Tiefenpsychologe wird zitiert: Vielleicht könne er sich dem, was er hasse, nicht entziehen und versuche es deswegen zu zerstören? Das sei für Terroristen klassisch. – Da hätte Zerwolf, was Galas und andere Events angeht, allerdings ein weites Betätigungsfeld. Ich lese weiter: „Die Frage ist nun: Ist der Philosoph Z. Teil eines internationalen Netzwerkes, das an der Zerstörung der abendländischen Grundwerte arbeitet und in Europa tätig wird? Und: Wie lange wird die Polizei sein Schweigen noch akzeptieren?“ Wenn es
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