Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
will was unternehmen. Und vielleicht taucht sie ja freiwillig wieder auf, wenn sie von den Hunderttausend hört.“
„Ob er sie ihr auch zahlt?“
„Die kriegt mehr, da kannst du sicher sein. Er kann froh sein, dass sie sich bisher nicht hat scheiden lassen. Immerhin hat die Firma ihren Eltern gehört, und wenn die Geschichte mit Natascha kein Scheidungsgrund ist …“
„Und was, wenn er sie selbst …“, sagt der Erste und steckt seine Codekarte ins Schloss.
Wie es weitergeht, erfahre ich nicht. Die beiden sind drin. Jedenfalls ist jetzt klar, dass die Firma ihrer Familie gehört hat und dass Dasch eine Freundin namens Natascha haben dürfte. Und dass auch Mitarbeiter überlegen, ob er nicht selbst für das dauerhafte Verschwinden seiner Frau gesorgt hat. Wer ist Natascha? Man muss ihn überwachen. Aber das wird die Polizei wohl tun. Andererseits: Wer weiß?
Vesna verspricht, in einer Stunde bei der Halbleiterfirma zu sein, so lange liegen meine Journalistenkollegen mindestens auf der Lauer und so lange wird sich daher sicher nichts tun. Vielleicht ist ja die Kantinenwirtin der Halbleiterfirma eine Freundin des Halbbruders ihrer Cousine dritten Grades …
„Du machst dich lustig über meine guten Verbindungen“, sagt Vesna ganz und gar nicht beleidigt. „Ich dachte in diesem Fall an anderes. Ist zwar nicht ähnliche Branche, aber vielleicht kennt Valentin jemand in der Umgebung von Dasch. Vielleicht sammelt Dasch Kunstwerke, du weißt, in der Galerieszene kennt Valentin sich aus.“
Ich lächle. In einer Galerie haben sich die beiden kennengelernt. Vesna hat sich damals als reiche Kunstliebhaberin ausgegeben, um Valentin besser aushorchen zu können.
„Bis ich so etwas weiß, mache ich es klassisch, sitze in Auto, beobachte und warte“, ergänzt Vesna.
Mir geht die Sache mit den beiden Frauen, die Zerwolf belästigt haben soll, nicht aus dem Sinn. Vielleicht sollte ich mich mit dem Anwalt der beiden treffen. Könnte Oskar das einfädeln? Schon möglich, aber ist es notwendig? Wenn der Anwalt Interesse daran hat, dass Zerwolf verurteilt wird, wird er mit einer Journalistin des „Magazin“ ohnehin gerne reden. Ich fahre in die Redaktion, ignoriere den Chronikchef, der mich spöttisch fragt, ob ich schon „Neues“ hätte, und suche die Nummer von Dr. Klein heraus. Wenig später weiß ich: Berthold Klein freut sich, mich zu sehen, natürlich könne er mir die Vorwürfe im Detail erklären. Und: „Es haben sich übrigens mehrere Frauen belästigt gefühlt, aber es ist ja nicht jedermanns Art, gleich eine Anzeige zu machen.“
Vier Uhr Nachmittag. Schickes weißes Altbauhaus im Botschaftsviertel. Stuck und Schnörksel. Einer dieser altertümlichen Lifte, bei denen ich mich jedes Mal frage, ob sie wirklich noch fahren. Rund um die Liftkabine im großzügig angelegten Treppenhaus ein schmiedeeisernes Gitter. Trotzdem. Um zu Fuß zu gehen, bin ich heute zu faul. Die Eisentür knarrt, ich öffne sie, danach die Lifttüre. Rot gepolsterte Sitzbank. So lange braucht der Lift wohl nicht nach oben. Hoffentlich. Sollte er stecken bleiben, kann ich wenigstens sitzen, bis mich die Feuerwehr befreit. Mira, du bist ein Feigling. Nein. Eben nicht. Sonst würde ich erst gar nicht mit diesem Lift fahren. Erstaunlich, beinahe schon wieder beunruhigend ruhig gleitet er nach oben.
Ich stehe vor der hohen, dunklen Doppeltüre, auf der „Kanzlei Dr. Klein“ steht. Zurückhaltend. Dezent. Wohlstand pur. Anders als bei Oskars Kanzlei, öffnet sich die Tür nicht automatisch, wenn man den Klingelknopf drückt. Ich höre Schritte. Eine Frau um die sechzig, dunkler Hosenanzug. Sie sieht eher wie eine Anwältin aus als wie eine Sekretärin. Vielleicht seine Frau.
„Ich habe einen Termin …“
„Frau Valensky?“, sagt sie. „Bitte kommen Sie weiter!“
Wir gehen einen Gang mit geschmackvollen abstrakten Drucken entlang. Oder sind es Originale? Valentin wüsste das. Ohne anzuklopfen, öffnet sie eine Flügeltüre, lässt mich hinein und schließt die Tür hinter mir. Klein sitzt hinter dem Schreibtisch und steht auf. Das Zimmer ist groß, dunkel möbliert, und erstens sehe ich etwas schlecht und zweitens blendet mich das Gegenlicht vom Fenster her. Ich gehe ein paar Schritte auf den Anwalt zu. Dann allerdings bleibe ich stehen und starre ihn an. Bislang habe ich ihn nur auf einem Foto gesehen. Es ist das Foto aus der Sammlung von Weis, das einen schmächtigen Mann zeigt, der sein Gesicht im Schoß des Gurus
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