Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
mehr sagen.“
Ich sehe, wie sehr meine Antwort den Chronikchef freut. Ganz so einfach gebe ich mich aber doch nicht geschlagen. „Cobra?“, frage ich spöttisch. „Ist das nicht die Einheit, die die Wohnung von Karadzic in Wien durchsucht, den Kriegsverbrecher aber für einen Wunderheiler gehalten hat?“
„Und?“, faucht der Chronikchef. „Wer hätte ihn denn mit diesem Bart erkennen sollen? Wer hätte auf die Idee kommen können, dass er in Wien ist, während weltweit nach ihm gefahndet wird? Außerdem: Eines wird damit auch klar:“ – er starrt mich triumphierend an – „Keiner soll sagen, dass ein Philosoph nicht Terrorist werden kann. Karadžić war Psychiater, sogar Kinderbuchautor, und trotzdem ist er zum Kriegsverbrecher geworden.“
Bin auch nie davon ausgegangen, dass Psychiater, Philosophen oder Autoren schon von Berufs wegen gute Menschen sind.
Wir vertagen die Entscheidung, was Blattaufmacher wird, auf morgen. Der Chronikchef soll seine Terrorgeschichte schreiben, ich soll zusehen, dass ich mehr über das Verschwinden von Franziska Dasch herausfinde. Es ist allerdings klar: Selbst in unserer Redaktionssitzung finden die meisten Terrorgerüchte viel interessanter als den recycelten Schuh einer verschollenen Jüngerin.
Ich gehe zu meinem Schreibtisch und rufe den Pressesprecher des Wiener Bürgermeisters an. Ob es möglich sei, kurz mit seinem Chef zu sprechen? – Worum es gehe. – „Fragen Sie ihn bitte?“ Ich weiß auch nicht, was ich mir davon erwarte. Ein Klicken und ich hab den Bürgermeister dran.
„Wissen Sie schon mehr über die Bombendrohung?“, fragt er mich und ich seufze. Genau das habe ich ihn fragen wollen. Das Einzige, was er mir erzählen kann oder erzählen will – wie soll ich das genau wissen? –, ist: Die Sicherheitsbestimmungen im Rathaus seien noch immer massiv verstärkt. „Natürlich muss man vorsichtig sein, aber nur weil ein beleidigter Autor zum Telefon greift …“
„Sie glauben hier also nicht an den internationalen Terror?“, frage ich.
„Das ist leider keine Glaubensfrage, und solange wir das nicht ausschließen können, kann ich mich gegen den ganzen Zinnober schlecht wehren. Man hat mir sogar zwei Leibwächter verpasst. Tag und Nacht. Dabei hat wirklich keiner gedroht, mich persönlich in die Luft zu sprengen.“
„Kann ich das schreiben?“
„Was? Das mit den Leibwächtern? Wenn es jemanden interessiert …“
„Dass Sie eher nicht glauben, dass es sich um eine Terrordrohung gehandelt hat.“
„Sicher. Vielleicht nimmt das etwas von der Hysterie. Und für Wien als Fremdenverkehrsstadt ist es auch nicht so gut, wenn man überall Terroristen vermutet.“
Dr. Harald Dasch hat jetzt „für die Ergreifung des Täters“ hunderttausend Euro ausgesetzt. Ich lese es in den Agenturmeldungen. Klingt irgendwie so, als würde er davon ausgehen, dass seine Frau tot ist. Für mich macht ihn diese Aktion nicht weniger verdächtig, sondern mehr. Vielleicht weiß er ja wirklich selbst am besten, was seiner Franziska zugestoßen ist. Und die Sache mit dem Schuh in der Recyclinganlage war nur ein Ablenkungsmanöver, um Weis ins Spiel zu bringen. Klingt ziemlich logisch. Da ich nichts Besseres zu tun habe, fahre ich sofort zu seiner Firma. Leider hatten diese Idee auch einige andere Journalisten. Wir kommen gar nicht erst ins Gebäude. So ein Halbleiterunternehmen ist offenbar nicht auf das Wohlwollen von Journalisten angewiesen, jedenfalls kanzelt uns ein Securitymann vor dem Eingang ab. Wir hätten da nichts zu suchen, Direktor Dasch habe alles mitgeteilt, was er mitteilen wolle, und sei für niemanden zu sprechen. Ich überlege. Wie komme ich trotzdem in die Firma? Vesnas alter Putzfrauentrick. Aber das klappt wohl auch eher erst am Abend. Ich tue so, als würde ich wegfahren, parke meinen Wagen in einer Seitengasse und suche nach einem Hintereingang. Den gibt es auch, aber man braucht eine Codekarte, um reinzukommen. Was ist an Halbleitern bloß so geheim? Vielleicht sollte ich mich als Kundin ausgeben? Aber wie tritt die Kundin eines Halbleiterunternehmens auf? „Hach, mir wäre heute so nach ein paar hübschen Halbleitern …“ Ganz abgesehen von allem: Dasch kennt mich. Ich stehe in der Nähe eines Gebüschs und will gerade wieder zu meinem Auto zurück, als zwei jüngere Männer Richtung Hintereingang gehen.
„Dass er für die so viel Geld hergeben will …“, sagt der eine.
„Ich glaube, er hat die ganzen Gerüchte einfach satt. Er
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