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Leben macht Sinn

Leben macht Sinn

Titel: Leben macht Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irmtraud Tarr
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man sie als Sinnsuchende verstehen, die zu wenig haben, wofür sie leben können. Sucht heißt im Kern: Sinn suchen. Allerdings ist es eine Suche, die steckengeblieben ist und in die illusionäre Grenzenlosigkeit abgedriftet ist. In der Sucht kann die Person im Wiederholungszwang immer nur dasselbe machen. Heilung hingegen wäre zu lernen, nicht das Opfer seiner Sehnsucht zu sein, sondern produktiv mit ihr umzugehen. C. G. Jung wies mehrfach darauf hin, dass der Suchtdrang auf einer materiellen Ersatzbühne dem spirituellen Durst nach Ganzheit entspricht und als impliziter Versuch, sich mit den höheren Kräften zu verbinden, zu werten ist. Aber es ist ein Umweg, weil man sich in den Glücksdrogen verirrt. Eine kurze Sinneuphorie, die rasch verfliegt, wenn es vorbei ist und viel Frust und körperlichen Schmerz hinterlässt. Was aber bleibt, ist der Sinnappetit – immerhin mehr als die Resignation, die keine Hoffnung mehr kennt.
    Es braucht Mut zur Frage: Was ist eigentlich mit mir? Den unerschrockenen Mut, die Augen nicht zu verschließen vor der Einsicht, dass die Sucht stärker ist als die Illusion der Selbstkontrolle. Der Autor und PsychotherapeutJames Hollis, ein erfahrener Kenner der »Sümpfe der Seele«, weist in eine ähnliche Richtung, indem er sagt, dass die Aufgabe, so beängstigend sie auch sein mag, darin liegt, sich der Sucht zu stellen, in sie einzutauchen, um die ursprüngliche Sehnsucht auszugraben. Das heißt, in die Angst hineingehen und »hineinknien«, fühlen, was man wirklich fühlt, um die Tyrannei alter, ungelebter Emotionen aufzuspüren und aufzulösen. »Nur der Abstieg in die Hölle kann uns aus der Hölle befreien«, so resümiert er.
    Ob es uns bewusst ist oder nicht, unsere süchtigen Muster sind immer Abwehr gegen Angst. Sämtliche Süchte sind letztlich Strategien gegen die Angst. Wenn die Angst steigt, verfallen Menschen in Wiederholungszwänge, die es ihnen erlauben, sich an etwas festzuhalten. Die schnelle Zigarette, der Schluck aus dem Glas, der Griff zur Schokolade. Oft ist es der Person nicht einmal bewusst, was sie gerade tut. Dabei denke ich an einen 45-jährigen Bankkaufmann, glücklich verheiratet, zwei Kinder. Trotz glatter Karriere wirkt er unsicher, distanziert. Er sagt: »Früher beschäftigte ich mich mit Philosophie und war fasziniert von der Zoologie. Mich interessierte, was Menschen und Tiere bewegt, was sie fühlen und wie alles zusammenhängt. Durch meinen Beruf habe ich alles vernachlässigt und nur noch auf Karriere und Geld gesetzt. Die Folge: Es berührt mich nichts mehr, ich dröhne mich jeden Abend mit Essen für drei und so viel Wein weg, dass ich die Gläser nicht mal zählen kann. Ich habe nur noch Angst.«
    Wenn Menschen all das haben, was ihnen Zufriedenheit geben könnte und dennoch das Gefühl haben: »Ich lebe ja gar nicht«, dann haben sie wahrscheinlich schon früh erfahren, dass Anpassung wichtiger ist als ihre eigenen Träume, Wünsche und Sehnsüchte. Vielleicht wurden sie in Lebenswege hineingeschoben, und später machten siesich diese Zwänge zu eigen, ohne dass es ihnen recht bewusst wurde, dass sie verlernt hatten, auf ihre eigenen Gefühle zu hören.
    Es muss nicht einmal etwas Beängstigendes geschehen, und dennoch ist diese Angst da, die einen im Griff hat, sogar am helllichten Tag. Man fürchtet sich nicht mehr vor etwas, sondern ist einfach ängstlich, hilflos, mutlos, ratlos. Ähnlich wie früher auf dem Spielplatz, wenn alle anderen spielen, und man nicht weiß, wie man in dieses Spiel mit hineinkommt. Vernünftige Argumente helfen nicht, weil die Angst stärker ist als der gesunde Menschenverstand. Sie lebt tief innen in unserem Reptiliengehirn, in unserem unergründlichen, dunklen Loch Ness. Durch Vernunft ist sie nicht zu beeindrucken und auch nicht durch Willenskraft.
    Angst kann streuen wie ein Tumor. Es braucht einen Schlüsselreiz – ein Autoschaden, eine Hautveränderung, ein schräger Blick – und plötzlich spielt das ganze System verrückt. Obwohl das Auto schnell repariert, die Hautirritation harmlos, das Gerücht sich als Irrtum herausstellt, gerät das innere Gleichgewicht außer Rand und Band. Sogar das klingelnde Telefon, die ungeöffnete Post, die komische Bemerkung eines Kollegen erzeugen dieses düstere, misstrauische Lauern. Ganz zu schweigen von Lifts, Marktplätzen, Tunnel, Brücken: Da hat man nicht nur Angst, sondern ist Angst durch und durch.
    Ablenkungen wie Fernsehen oder Glücksdrogen sind zwar leicht

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