Leben macht Sinn
hinzubewegen, denn das Herz kennt keine negative Sprache. Das Herz fragt nicht, sondern es weiß, was Liebe, Schönheit, Güte und Vertrauen ist. Es genießt und schweigt. Es ist leichter vom Ja zum Sinn zu finden, weil der Horizont weiter ist, die Türen offen sind, der Duft der Blumen und der Gesang der Vögel näher kommen dürfen. »Seit ich mich mit einem beherzten Sprung aus meinem Jammertal herausgeschwungen habe, die dunklen und diehellen Zeiten akzeptiere, bin ich mit meinem Leben ein Herz und eine Seele«, so poetisch drückte es ein Tänzer aus. Und ein Priester: »Manchmal ist nur Freude da, einfach am Leben zu sein.«
Bejahenswert ist keineswegs nur das Lustvolle, auch das Entbehrungsreiche oder Schmerzliche, die Niederlagen und Enttäuschungen. All diese Widerfahrnisse gehören zum Sinn wie die dunkle Nacht, vor der das Flimmern der Sterne zu einer beeindruckenden Stimmung beiträgt. Wesentlich ist, einverstanden mit dem zu sein, was ist. Ja zu sagen zur Situation und zur eigenen Wahrheit, heißt nicht passiv hinnehmen, sondern wirklich in Kontakt treten mit dem, was ist. Entscheidend ist, ob das Leben insgesamt als bejahenswert erscheint, meint der Philosoph Wilhelm Schmid. »Dafür lebe ich«, lautet die Aussage, wenn jemand ausdrücken will, dass sein Leben durch erfreuliche aber auch unerfreuliche Situationen hindurch als wertvoll und lohnenswert erfahren wird. Dann gewinnt das Leben selbst den Charakter eines sinnvollen Weges.
Erlebt man immer wieder Situationen, die man um ihrer selbst willen bejaht, so überträgt sich das auf das ganze Leben, trotz aller Widerfahrnisse und Widrigkeiten. Denn: Gut ist ein Leben, das um seiner selbst willen bejaht werden kann. Man muss ein ruhiges Händchen dafür haben, denn Sinn will aufgespürt und durch Konzentration und Achtsamkeit entdeckt werden wie die Sterne bei Nacht. Dem Weg gilt daher alle Sorgfalt, weil wir nie wissen, wo, wie und wann wir fündig werden. Es bleibt uns ohnehin nichts, als unterwegs zu sein, warum dann nicht so bewusst und so mutig wie möglich? Wofür wir hellhörig bleiben sollten, sind die Sinndiebe, die in und um uns mit ihren Sinnsurrogaten lauern. Überall da, wo es laut zugeht – Massen-Events, Tor(!), Schlussverkauf,Höchstquote, Blitzerfolg, dröhnende Parties – entzieht er sich. Sinn stellt sich im Leisen, in der Stille, in der Achtsamkeit, im Glück der kleinen Wunder ein, nicht auf der Spaßbühne. »Alles, was lange währt, ist leise.« Treffender als Joachim Ringelnatz in einem Liebesgedicht kann man es nicht ausdrücken.
Achtsamkeit
Es gibt einfache Möglichkeiten, sich dem Sinn zu öffnen. Jeder kann ihn aufspüren und aus seinen Quellen schöpfen. Es geht einfach darum, in seinen alltäglichen Erfahrungen präsent zu sein – durch Konzentration auf den Atem, den Körper und das Bewusstsein. Den Atem habe ich mit Bedacht zuerst aufgeführt, weil er die Schnittstelle zwischen Körper und Bewusstsein bildet. Er ist der Zeitgeber, der unsere Eigenzeit im Wahrnehmen, Fühlen und Handeln vorgibt. Es beginnt also damit, dass man sich Zeit – Eigenzeit – nimmt. Zeit, in der sich die großen Erwartungen verlieren und man wieder die »kleinen Dinge« am Wegrand wahrzunehmen beginnt. Denn wer sagt: »Ich habe keine Zeit«, bringt sich um Lebenszeit, um die Erfahrung, wahrzunehmen und zu fühlen – letztlich zu leben.
Wahrnehmen und fühlen sind der Nährboden des Denkens und Sinnverstehens. Bewusst atmen heißt intensiv wahrnehmen, den eigenen Rhythmus, den eigenen Raum des Denkens und Fühlens zu finden – Eigensinn entwickeln. Erst die Wahrnehmung über die Sinne ermöglicht das Geistige.
Wie fängt man an? Am besten mit einfachen alltäglichen Verrichtungen. Man nimmt einmal genau wahr, was man gerade tut. Oder man richtet seine Aufmerksamkeit auf etwas, das auf den ersten Blick langweilig und repetitiv erscheint, z. B. Geschirr abtrocknen. Dabei ist es wichtig, alle Sinne zu sammeln, mit dem Atem zu verbinden und in allen Details wahrzunehmen, was man gerade tut. Jeder banale Gang zum Briefkasten oder zum Mülleimer wird dann zu einer ganz frischen Erfahrung. Dieses Bei-sich-selbst-Sein, wenn wir einen Fuß vor den anderen setzen und dann auch noch etwas Nützliches tun, verleiht eine Wachheit, die sich auf alle Sinne überträgt. Man sieht, hört, riecht und fühlt intensiver.
Aus dieser Erfahrung entwickelte sich die englische Bewegung des »downshifting« (auf Deutsch: den Gang herunterschalten). Das waren
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