Leben macht Sinn
die Kränkung eingesteht und selbst die Hauptrolle im eigenen Theaterstück übernimmt.
Oft drängen uns unsere Fähigkeiten in bestimmte Richtungen oder Wege. Der Schriftsteller Peter Bichsel meint:»Ich bin Schriftsteller geworden, weil ich ein schlechter Fußballer bin. Ich war zu ängstlich, zu mutlos, zu wenig tapfer zum Fußballer – also habe ich mich zu den Ängstlichen, zu den Mutlosen, zu den Untapferen geschlagen, zu jenen mit den Gedichten und zu jenen mit den Büchern. Zu jenen, die ein Leben auch ängstlich bestehen können.«
Scheitern heißt nicht nur, sich verändern, es heißt auch, nicht ein Gleicher werden zu müssen. Darin steckt die Ermutigung, im eigenen Interesse zu handeln und eine Wahl zu treffen, bei der man ganz man selbst sein kann. Man lebt dann nicht einfach weiter und kommt irgendwie durch, sondern hat eine neue Lebensqualität gewonnen. Diese kann sich ausdrücken durch mehr Gelassenheit, durch einen Wertewandel, der sich weniger an äußerer Anerkennung orientiert, oder durch das Ende falscher Anpassungen. Wichtige Bausteine dieser Phase sind persönliche Befriedigung, Selbstrespekt und Eigensinn. Es gilt, sich auf Herz und Nieren zu prüfen, sich ernst zu nehmen, und das zu tun, was man selbst will. Nicht, was man tun sollte, oder was die anderen erwarten und raten. Fragen Sie sich: Was bewegt mich? Was gehört zu mir? Auf was kann und will ich nicht verzichten? Wofür brenne ich? Was gibt meiner Seele Frieden?
Antworten können durch den Blick in die Vergangenheit und in die Gegenwart entstehen: Was gelang mir? Was sind meine Stärken? Was hält mich lebendig?
Was zeichnet nun Menschen aus, die aus dem Scheitern gestärkt hervorgehen? Es sind innere Stärken, manchmal stille, konstruktive Umdeutungen, Hoffnungssuche, Eigensinn – und nicht Geld, Status oder irgendwelche Privilegien. Sie alle sind Überlebenshaltungen, die erlernbar sind. Das Überleben nach dem Scheitern ist kein Picknick,sondern ein Balancespiel der Kräfte, das einem mit dem Unbesiegbaren, dem Unzerstörbaren in sich in Kontakt bringt. Die Fähigkeit, den Mut und die Kraft zum Weitergehen aufzubringen, wächst mit der Zähigkeit, das eigene Selbst zu schützen, und es nicht durch äußere Ereignisse vernichten zu lassen. Die Entscheidung nicht unterzugehen kann antrainiert werden, wenn man den dahinterliegenden Kampf um das Hoffnungsvolle begreift.
Wo ein Weg endet, beginnt eine neue Reise. Und dies ist eine Reise, die vielleicht nicht mit der alten Kraft nach vorn drängt, sondern mehr in die Tiefe der Selbstbegegnung führt. Die Art, wie die Welt aufgefasst wird, ist nicht mehr dieselbe. Wer das Scheitern mit der Neugier eines Lernenden angeht, wird allmählich zu den Konturen seiner Bestimmung gelangen. Man kommt herunter von seinen Überheblichkeiten oder vermeintlichen Überlegenheiten und wird versöhnlicher, mitfühlender und vielleicht sogar etwas weise. Man kommt nicht umhin, den eigenen Dummheiten und Irrtümern, die einem passieren, ins Gesicht zu schauen. Und vielleicht machen sie einem auch nicht mehr so viel Angst, weil man sich sogar ein mitfühlendes Lächeln mit ihnen nicht mehr verkneifen kann. Damit fällt auch die Verurteilung anderer schwerer, und es nimmt der Selbstgerechtigkeit den Wind aus den Segeln.
Gelingt es, die Position des unschuldigen Opfers aufzugeben, sich selbst Fehler einzugestehen und Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, so geschieht das Paradoxe. Man wächst in die eigene Kraft hinein und fühlt sich nicht mehr als Marionette eines ungerechten Schicksals. Wenn das Nicht-Wiedergutzumachende geschehen ist, bleibt eigentlich nur eins: sich selbst zu verzeihen. Nur die Versöhnlichkeit mit sich selbst kann den Weg ebnen, der ins Neue führt.
Das Wissen um das Scheitern und die Unberechenbarkeit des Schicksals verschiebt die Prioritäten. Erfolg macht vertrauensselig in der Erwartung von Belohnung, während Niederlagen uns daran erinnern, dass wir sterblich sind. Man wird vorsichtiger, wägt ab und verliert ein Stück Unbefangenheit. Diese Vorsicht kann aber auch genutzt werden und zu wesentlichen Fragen führen: Ist es stimmig, was ich tue? Was bedeutet es, mir selbst treu zu bleiben? Stimmt das Gleichgewicht der Kräfte in meinem Leben? Welche Spuren möchte ich hinterlassen? Was ist mir wertvoll? Was macht Sinn? Ein Sinneswandel bahnt sich an, der orientiert ist an Hingabe und Stimmigkeit. Denn man hat sich in die Richtung bewegt, wo die eigene Nische
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