Leben macht Sinn
sind und dass jeder Tag zählt. Aus dem abstrakten »Alle Menschen sind sterblich« durchrieselt es einen plötzlich kalt: »Ich werde sterben«. Wir begreifen allmählich, was Endlichkeit heißt. Und dass in den Naturgesetzen nichts erkennbar ist, das uns eine besondere Stellung im Universum verleiht. Im Gegenteil, die Naturgesetze sind unpersönlich und interessieren sich nicht für uns. Das beschäftigt auch Jugendliche, die immer wieder fragen: »Lohnt es sich überhaupt zu leben, wenn ich am Ende doch sterben muss?« Oder wie der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lakonisch feststellte: »Wir sind winzige Staubkörnchen in den unendlichen Weiten des Alls … die Spanne unseres Lebens ist nicht mehr als ein Augenblick. Wir können alle jeden Moment tot sein.«
Dies bedeutet nun aber nicht, dass unser Leben sinnlos ist. Wir können einander das Leben erleichtern, einander lieben, nach Kräften unterstützen und versuchen, unser Leben zu verstehen. »Wir nehmen uns ernst, ob wir nun ein ernstes Leben führen oder nicht«, so folgert Nagel. Es bleibt uns also nichts anderes, als die große Sinnfrage in eine Frage zu überführen, die für uns denkbar und umsetzbar sein kann: unser eigenes Lebenswerk. Nur wir Menschen können neben uns treten und uns selbst betrachten. Wir sind nicht nur Darsteller, sondern auch Zuschauer unseres Lebens.
In eine ähnliche Richtung der Einfachheit und Praktizierbarkeit geht der Film von Monty Python, »Der Sinn des Lebens«. Am Ende des Films wird einerFernsehmoderatorin ein goldener Umschlag überreicht, er enthält den Sinn des Lebens: »Versuchen Sie, nett zu anderen zu sein, vermeiden sie fettes Essen, lesen Sie hin und wieder ein gutes Buch, verschaffen sie sich genügend Bewegung und bemühen Sie sich, mit Menschen aller Nationen und Religionen in Frieden und Eintracht zusammenzuleben.« So einfach kann es sein, oder doch nicht? Zumindest wollte Monty Python nicht nur komisch daherkommen, eher lese ich, dass uns kaum anderes bleibt, als uns bewusst ins tätige Leben zu werfen. Mit dem Sinn geht es uns ähnlich wie mit unserem Herzen. Es macht auch nicht ständig auf sich aufmerksam, es sei denn, wir würden ständig nach innen horchen, aber das fiele dann unter die Kategorie »Herzneurose«. Deswegen haben es diejenigen mit dem Tätigsein schwer, die hypochondrisch an der allumfassenden Sinnfrage kleben, weil sie ständig über ihren eigenen Schatten springen wollen und vor lauter Nachdenken kaum zum Leben kommen. Vergleichbar mit den erwähnten Hypochondern, die ständig mit ihrer Gesundheit beschäftigt sind und dabei übersehen, dass Gesundheit in der Verborgenheit lebt. »Wer beobachten will, kann nicht mitspielen«, so die Schlussfolgerung frei nach Wilhelm Busch.
Heißt das nun, dass wir, wie es der Philosoph Odo Marquard empfahl, in Sachen Sinn einfach bescheidener werden sollten? Sind wir heute zu sinnhungrig? Erwarten wir zu viel Sinn und sind deshalb so leicht zu enttäuschen? Eher glaube ich, dass unser Sinnhunger wegen der überwältigenden Menge von Sinn-Ersatzstoffen, Ablenkungen und Zerstreuungen, durch oberflächliche Täuschungsmanöver nicht mehr zu stillen ist. Wir wollen keine Sinn-Surrogate, wir wollen Sinn. Gerade deswegen meldet sich der Hunger so unüberhörbar, weil er sichnicht mehr durch Täuschungen, Abkürzungen oder Ersatzstoffe in die Irre führen lassen will.
Kaum jemand, der nicht die Sehnsucht kennt, einen Tag zu erleben, der einen satt gemacht hat mit Sinn. Ein Tag, an dem man abends müde aber mit vollem Herzen heimkehrt und sagen kann: »Es war ein guter Tag.« Dieses Gefühl ist das Gegenteil zur Vergeblichkeit, die unsere Wünsche, Motivationen und Kräfte reduziert und unsere Flügel lahm werden lässt. Dann werden Fragen laut: »Wenn ich nur noch arbeite und abends todmüde ins Bett falle und zu nichts anderem mehr komme – hat das einen Sinn?« »Wenn ich von einer Enttäuschung in die nächste gerate – hat das einen Sinn?« »Wenn die Streitigkeiten der Nachbarn, die Gewalttätigkeiten am anderen Ende der Stadt nicht enden wollen – hat das einen Sinn?« Fragen über Fragen, die mehr oder weniger offen nach Gegenkräften zur Vergeblichkeit suchen. Dass die Vergeblichkeit an allen Ecken lauert, erleben wir täglich, und dennoch geraten wir da in eine Tabuzone, in der jeder meint, allein bleiben zu müssen. Was hindert uns, sich offen darüber auszutauschen? Wäre das nicht eine Gegenmacht zur Vergeblichkeit, wenn wir einander
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