Leben macht Sinn
ist, welche Persönlichkeitsfaktoren dominieren, sondern was einem widerfahren und angetan worden ist, weil wir unsere Eltern nicht aussuchen, die Verwicklungen nicht wählen konnten, die Geschehnisse nicht steuern können, die uns gemacht haben. Um den Psychologen Philip Zimbardo zu zitieren: »Du kannst keine süße Gurke werden in einem Essigfass.« Wir sind also wesensgemäß alles andere als »self-made people«, wir sind »made by other people«.
Beide Einsichten, die einem das Leben auch ohne Therapie beschert, lassen sich trotz ihrer Widersprüchlichkeit auf einen Nenner bringen, der als »Gelassenheitsspruch« immer wieder rezitiert wird: »Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.« Anders gesagt: Indem ich erkenne, was ich nicht beeinflussen kann, entdecke ich meine Möglichkeiten, mein Leben zu ändern – und umgekehrt.
»Du musst dein Leben ändern« – kaum jemand, der sich von diesem Rilke-Satz nicht angesprochen fühlt. Unddennoch stecken wir ihn eher in die Rubrik »Dinge, die anderen passieren«, oder wir lesen fasziniert Berichte über Leute, die »es« geschafft haben.
Warum ist das eigentlich so? Bedeutet das, dass die meisten mit ihrem Leben zufrieden sind und nichts ändern wollen? Dagegen spricht die weit verbreitete Phantasie: »ich würde am liebsten aussteigen«, »ich würde gern andere Prioritäten setzen«, »hätte ich doch bloß«, »hätte ich doch bloß nicht«, bis hin zu Überlegungen, welche Wellen oder Nachbeben solche Entscheidungen nach sich ziehen würden. Was hält uns ab? Was bremst da?
Die eine Hürde liegt in unseren Köpfen und lautet: Wahrnehmung. Das heißt, wir nehmen diesen Veränderungsimpuls im wahrsten Sinn des Wortes nicht richtig »wahr«, nicht ernst genug, und bewerten ihn dementsprechend als eine dieser vorübergehenden Launen oder Hirngespinste. Typische Äußerungen: »Das tut’s doch!«, »Ich will bloß meine Ruhe!«, »Das gibt sich wieder!« Wahrnehmen, was wir wünschen und wollen, braucht einiges an Sorgfalt beim Aussortieren und Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst. Viel eher sind Menschen gewohnt, zu reagieren und sich anzupassen, deshalb fällt es ihnen nicht leicht und es scheint ihnen sogar beängstigend, wahrzunehmen, was sie wirklich wollen. Dabei denke ich an die vielen Menschen, die in kargen Beziehungen verkümmern und sich im Aushalten und Dienen ein Stück Wärme zu erzwingen versuchen, statt sich nach dem zu orientieren, was sie in die Kraft bringen könnte. Es meldet sich der Verdacht, dass dieses Mitmachen und Aushalten von der eigenen Wahrnehmung ablenkt und stressig und aufwändig ist, weil es anstrengend ist, die Eigenwahrnehmung dauerhaft zu übertönen. Umso stimmiger, entlastender fühlt es sich an, wenn die Welt im eigenen Kopfwesentlicher wird als die äußere. Aber es braucht Mut, so zu leben, wie wir gemeint sind.
Damit sind wir bei der zweiten Hürde. Sie hat mit dem Herzen zu tun und heißt: Mut. Unser Herz äußert sich ja nicht nur durch Herzlichkeit, sondern durch Beherztheit. Sie ist die Initiativkraft, die wir brauchen, um Herz und Verstand zusammenzuführen, um unseren Willen und unsere Kraft zu aktivieren. Beherztheit ist der kleine Anstoß, der zu eigenen Gedanken und Eigensinn führt, die vor allzu viel Anpassung und Bequemlichkeit bewahrt. Sie ist es, die unserem Sinnhunger Energie und Eigenwilligkeit schenkt und uns vor der großen Subversion bewahrt: der Herzlosigkeit.
Ohne Mut gibt es keine schöpferischen Veränderungen. Beherztheit ist der Mut zum Guten, das zu tun, was ich tun will. Dazu gehören auch die Langmut und die Demut, bei der sich der Kopf freiwillig dem Herzen beugt, bis hin zur Anmut, die sich als Schönheit zeigt, die von innen strahlt. Ich gebe zu, es ist heute unsicher geworden, worin der Sinn einer bestimmten Situation besteht. Man kann nicht einfach nur aus dem Bauch mutig sein. Man kommt nicht umhin, zu reflektieren, zu denken, zu diskutieren, zu streiten und seine Erkenntnisse immer wieder in Frage zu stellen und zu revidieren.
Beherztheit könnte man auch als Mut zu sich selbst bezeichnen. Jemand, der sich das eigene Denken und Handeln weder verbieten noch vorschreiben lässt. Jemand, der sich selbst treu bleibt, sich durch die eigenen inneren Widerstände und Fluchttendenzen hindurchkämpft, um unbeherrscht von äußeren Verführungen
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