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Leben macht Sinn

Leben macht Sinn

Titel: Leben macht Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irmtraud Tarr
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zu glauben, was sie glauben wollen. Sicher – da gibt es graduelle Unterschiede: Manche Menschen sind introspektiver als andere und sensibler für kognitive Dissonanzen. Manche haben einen empfindlicheren Riecher für ihre Empfindungen und Gefühle und spüren schneller, wenn ihre Handlungen nicht mit dem übereinstimmen, was sie eigentlich wollen. Eine Frau drückte es so aus: »Ich schreie schon ›Aua‹, wenn andere noch gar nichts merken!« Aber Sinnkompetenz lässt sich pflegen und vertiefen. Je mehr wir uns gestatten zu fühlen, und unsere Gefühle als Botschaften über uns selbst zu deuten lernen, um unserer eigenen Wahrheit näher zu kommen, desto leichter finden wir Wege, uns für neuen Sinn zu öffnen. Denn je mehr Wissen wir über uns selbst gewinnen, je mehr wir lernen uns zu hinterfragen, desto eher begeben wir uns dorthin, wo unser wahrer Platz ist. Zumindest wäre das der erste Schritt, wenn unser Leben nach Veränderungen ruft.
    Aber Selbstverständigung kommt nicht auf leichten Füßen, besonders in Krisenzeiten, wenn wir sie besonders brauchen. In belasteten, schwierigen Situationen ist es schwer, unsere Schatten und Schwächen einigermaßen klar einzuschätzen; wir sind zu befangen, um überhaupt zu merken, dass wir befangen sind. Wie kommt man aus dieser Befangenheit heraus? Erst einmal: Abstand nehmen! Einen Schritt zurücktreten und sich besinnen, das heißt, grundsätzliche Fragen zu stellen: Wie geriet ich in diese Situation? Was blockiert mich? Wie stark ist meine Motivation, hier herauszukommen? Wer kann mir helfen? Manchmal sind die Menschen, die uns am meisten lieben und uns die nächsten sind, keine Hilfe. Womöglich sind sie sogar Teil des Problems. Ich denke dabei an eine Kindergärtnerin, die einsah, dass ihre »Nettigkeit« für sie als erwachsene Frau unakzeptabel geworden war. Ihr Anpassungsreflex, so nötig er als Mädchen für sie war, forderte tägliche Opfer an Integrität als Erwachsene von ihr, was sie gar nicht »nett« fand. In dem Moment, als sie anfing, direkt und mutig mit eigener Stimme zu sprechen und zu spüren, wo »ihr eigener Schatz« vergraben lag, wurde sie erst einmal in ihre gewohnte Ecke zurückgepfiffen. Ihre Familie fand, dass es »normal« sei, nett zu sein und entmutigte sie dementsprechend. Laing äußerte sich mit einem treffenden Bild zu dieser Verhaltensweise: »Man darf den Himmel nicht als grau wahrnehmen, wenn die anderen ihn als blau sehen.« Es ist nicht zu unterschätzen, wie mächtig der Wunsch nach Zustimmung der Gruppe ist, weshalb wir immer wieder die Wahrnehmung unserer Sinne und unseres Herzens übergehen und unseren persönlichen Sinn verraten. Diese Konditionierung führt dazu, dass wir unserer eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen und wir uns letztlich selbst verlieren. Man ist dannmit der Zeit überzeugt, es sei völlig normal, den gleichen Schaltkreisen der Gewohnheit, den ausgetretenen Gleisen, dem gleichen Trott zu folgen. Man glaubt, den Konventionen zu folgen und entfernt sich dabei immer mehr von seinem Anspruch, in seinem Handeln und Tun einen Sinn zu finden.
    Sich der Frage auszusetzen: »Was macht es für einen Sinn, dass ich hier bin? Was macht mein Leben stimmig?«, geschieht meist nicht freiwillig, sondern wenn das Leben enger wird, wenn Krankheiten, ungewollte Einsamkeiten, Verluste, Verzweiflungen uns an den Schultern rütteln, wenn Lasten, Überforderungen uns niederdrücken. Die Suche nach Erklärungen, aber auch nach persönlichem Nutzen ist es, die uns zu Experten in Sachen Sinn macht.
    Wie bescheiden oder schlicht unsere Antworten ausfallen, es geht immer um unser kleines selbst gestaltetes Reich und – um unsere Würde. Gerade in den Tiefpunkten, wenn Scham, Verzweiflung oder Entrüstung in uns kochen, ist es letztlich der Kampf um die eigene Würde, der uns nach irgendwelchen Strohhalmen greifen lässt. Für viele ist Gott das Refugium, das Entlastung und die Seele wieder ins Gleichgewicht bringt, vor allem wenn sie nach Antworten auf das Unverständliche, Überwältigende sucht. Ein überraschender Gedanke hierzu von dem Philosophen und Psychologen William James, der meinte, nicht wir bringen unsere Probleme zu Gott und er antwortet, sondern es ist gerade umgekehrt: Was Antworten auf unsere Nöte gibt, das nennen wir Gott. Ein Gedanke, den auch Luther in seinem Großen Katechismus aufgreift: »Woran du nun dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.« Also nicht viele Probleme

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