Leben macht Sinn
und ein Gott, sondern viele »Götter« und eine zentrale Frage: »Was gibt meinem Leben Sinn?«
Es hat mit unserem tief verwurzelten Wunsch nach Sinn zu tun, dass wir bereit sind, alles zu tun, um einen größeren Zusammenhang zu finden und unsere Würde und unseren Selbstrespekt wiederherzustellen. Die mit dem Kampf um die eigene Würde verbundene Erfahrung und Sinnerweiterung – wie auch immer wir sie benennen – bedeutet zweifellos einen Zuwachs an persönlichen Ressourcen.
Gesichter des Sinns
Manche verstehen unter Sinn nur die große Frage nach dem Sinn des Lebens. Unser Alltag ist aber gespickt mit lauter kleinen Sinnfragen. Jede Entscheidung wirft Fragen auf, die die Einschätzung des eigenen Könnens, der eigenen Prioritäten und Wertigkeiten, der Abstimmung mit anderen verlangen. Erst dann sind wir orientiert, wenn wir auch in den kleinen Fragen einen Zusammenhang oder ein Eingebettetsein in ein größeres Wozu finden. In den kleinen Entscheidungen, in dem, was wir gerade tun, zeigt sich die Ausrichtung, in der man lebt. Offensichtlich hat jeder so etwas wie einen eigenen »Setpoint« (Jonathan Haidt), jedoch nicht nur für sein optimales Gewicht, sondern auch für Gefühle wie Ängstlichkeit, Risikofreudigkeit und eben – Sinn. Das heißt: Mehr Sinn zu erfahren, als man erfahren kann, ist genauso aussichtslos wie die Erfüllung des Wunsches, größer zu sein, als man nun einmal ist. Man fühlt sich erinnert an Nietzsches »Werde, der du bist.«
Dieser persönliche Set-point wirkt sich auf die Kompetenz in Sinnfragen aus. Nicht jeder ist interessiert, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen: »Was bringt einem das?«,»Da macht man sich das Leben nur unnötig schwer!« Nicht jeder ist für diese Aufgabe gleichermaßen gerüstet. Und manchen widerstrebt es sogar, über Sinn zu reflektieren, weil bis dahin unhinterfragte Werte ins Wanken geraten, oder weil Krisen so erst recht heraufbeschworen werden. Diese Abwehr gilt es zu respektieren, denn es gibt in der Tat unterschiedlich entwickelte »Sinnerfassungskapazitäten« (Petzold).
Die Psychologin Freya Dittmann-Kohli hat in ihren Untersuchungen von 1995 zur Sinngebung über die Lebensspanne belegt, dass Sinn altersgemäß in unterschiedlichen Lebensabschnitten durchaus verschieden erlebt wird. Auch das Nachsinnen über sich selbst und die Lebensansprüche verändert sich über die Lebensspanne.
Jugend heißt, Durst nach Wissen, Empfänglichkeit für Ideologien, die Überschätzung des eigenen Selbst und die Bekanntschaft mit Lust und Begehren. In diesem Experimentierfeld der Sinnsuche fällt auf, dass Jugendliche eher mit sich selbst und dem eigenen Leben beschäftigt sind. So gestalten sich auch die Antworten von Jugendlichen. Sie tendieren eher in Richtung egozentrischer Vorstellungen und ihre Antworten nehmen häufig die Gestalt absoluter Wahrheiten an. »Ich brauche Selbstverwirklichung und Sex … und ich muss selbst was tun … zum Beispiel Fahrrad fahren.« »Hauptsache, ich krieg’ mal einen guten Job … wenn das nicht klappt, dann macht auch das Ausgehen keinen Spaß.« »Ich will das Leben genießen und nicht jeden Euro zweimal herumdrehen.« »Jeder muss für sich selbst schauen.«
In den mittleren Jahren verschieben sich die Prioritäten: »Ich möchte in der Gesellschaft etwas verändern.« »Mich langweilen Partys mit Smalltalk. Ich möchte viel lieber mit anderen etwas zusammen tun.« »Was mir Sinn gibt,ist Erfüllung in meiner Arbeit.« »Meine Familie ist mir sehr wichtig, aber auch meine Freunde.« »Ich möchte immer weiter lernen, mich immer weiterentwickeln.« »Ich möchte mich und andere besser annehmen lernen.« In den mittleren Jahren, die durch starke berufliche oder familiäre Belastungen gezeichnet sind, gönnen sich viele nicht genügend Muße- und Reflexionsmöglichkeiten. Hinzu kommt die unüberhörbare Botschaft »Halbzeit«, die das Lebensgefühl tiefgreifend verändert. Die mittleren Jahre sind anfällig für die bekannten Aufbruchsymptome: Berufswechsel, Partner verlassen, Auto verkaufen, Putzfrau entlassen, Tür zuschlagen und wegrennen. Bewusst oder unbewusst wird Bilanz gezogen, Inventur gemacht oder in den Spiegel geschaut: »Ich habe all das erreicht, was ich mir gewünscht hatte.« Dennoch steht die Frage im Raum: Ist das Gewünschte auch heute noch das Richtige für mich? Vielleicht geht es nicht nur um Bestandsaufnahme, sondern auch um eine Überprüfung innerer Werte – um Besinnung. Bei den einen
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