Leben macht Sinn
auf dem Morast der Leiden, Niederlagen, Enttäuschungen, die dem Lebensganzen auch innewohnen. Das Tragische, das Erlittene, das Nicht-Gelungene, der Tod sind die Zwillingsschwestern des Glücks, der Gesundheit und des Lebenssinns. Sich nur eines davon auszusuchen ist nicht möglich und nicht wünschenswert. Es gilt, alles zu nehmen. Denn die Tatsache, dass das Leben auch weh tut, dieser dunkle Horizont ist es, der den entscheidenden Unterschied macht, zu all dem, was so an Glückssurrogaten angeboten wird. Diejenigen, die ganz eigensinnig beginnen, an das zu glauben, was sie mit eigenen Augen entdecken, was die Stille ihnen offenbart, was ihr eigener Körper ihnen mitteilen will, was die Musik ausdrückt, was ein herzenswarmer Blick spricht, auf sie warten Sinneserfahrungen, die im Laufe der Zeit zu einem Glückshort werden, der auch in der Rückbesinnung tiefen Sinn macht. Wer kennt nicht ähnliche Sätze wie: »Damals, als der Wind um mein Haus pfiff und ich diesen köstlichen Tee trank, als der Orgelklang im Dom mein Herz berührte, alsmir ein Kuchen glückte – da war ich ganz bei mir selbst«?
Warum nicht, statt auf das große Glück zu warten, lieber das kleine unerwartete Glück aufspüren: das Spiel der Farben, Klänge und Gerüche? Selbst wenn einem der Sinn dessen, was man gerade erlebt, nicht gleich einleuchtet, wird er später ganz unerwartet aufleuchten, wenn wir ihm mit unserem Gespür ein Nest bereiten.
Glück – ob Liebesglück, stilles Glück, Naturglück, Schicksalsglück – ist die Erfahrung des unerwarteten Guten, das das Leben freigibt. Allerdings ist es nicht so leicht zu haben, wie das manche Internet-Angebote weismachen wollen. Wir sind mitbeteiligt. Wir können ihm den Weg bahnen, oder ihm den Weg verstellen, ihm aus dem Weg gehen oder im Weg stehen. Was Glück verhindert, lässt sich einfach sagen: wenn wir es allzu angestrengt, krampfhaft, planmäßig herbeiführen wollen. Was Glück einlädt, ist genau das Gegenteil: aufspüren, empfinden, ertasten, erfühlen. Diese Fähigkeiten sind uns von Anbeginn in die Wiege gelegt und bedürfen unserer Pflege und Sorgfalt. Es gibt ein paar Markierungen, die hilfreich sein können:
Einfachheit. Zu viel des Guten ist ein »Glückskiller«. Zu viele Zeitungsausschnitte, zu viele Kleider, zu viele Essensreste, zu viele Leute, die man anrufen oder einladen sollte, besetzen den Lebensraum und die eigene Lebenszeit. Wenn ich klar darüber nachdenke, was ich brauche und will, kann ich auch ausscheiden und Überflüssiges entsorgen. Wenn ich hingegen nicht weiß, woraufhin ich lebe, muss ich natürlich gerüstet sein für alle Eventualitäten. Es ist befreiend und sinnvoll, wenn wir uns eingestehen: »Genug ist genug. Das war einmal. Dafür habe ich jetzt keinen Platz mehr.« Einfachheit hat eine reinigende Wirkung. Gibt es ein schöneres Beispiel dafür als dasHochgefühl beim ersten Glas Quellwasser nach einer Wanderung?
Wechselseitigkeit. Glück stellt sich ein, wenn wir bedenken, wie man anderen Glück schenkt. Das beinhaltet Einfühlung, Zuwendung und Gegenseitigkeit – alles Tugenden, die man entwickeln kann. Bei allem, was wir anderen schenken, geben wir uns selbst. Das Gute daran ist, dass Geben unseren Glauben stärkt, dass es Sinn macht, etwas wegzugeben. Einfach gesagt: Anderen Gutes tun, zieht Glück an.
Gespür. Damit ist das Gespür gemeint, das die sogenannten Glückskinder reichlich besitzen. Vermutlich haben sie einfach mehr Sinn für das kleine, alltägliche Glück: das ofenwarme selbst gebackene Brot, die Hand, die einem den Wein einschenkt, das frisch bezogene Bett, das rührende Lied im Radio, das Buch, das einem das Gemüt erwärmt, die zugelaufene Katze, das verschwörerische Lächeln eines Freundes. Das sind die kleinen täglichen Wunder, die in Hülle und Fülle auf den warten, der sie zu würdigen weiß. Und selbst das Schlechte kann noch sein Gutes haben, und wenn es nur das Glück ist, das in dem Satz liegt: »Auch das geht vorüber.«
Was verbindet diese drei Markierungen? Mit wachsender Lebenserfahrung lernen wir, was unsere Seele nährt. Die immer kostbarer werdende Zeit hilft uns, bewusst und aktiv zu suchen, was uns persönlich Sinn schenkt. Einfachheit, Wechselseitigkeit und Gespür ermöglichen das, was das Leben sinn-voll macht: nämlich Hingabe. Sowohl Abraham Maslow, ein Pionier der Erforschung seelischer Gesundheit, als auch Viktor E. Frankl, beide entdeckten,dass seelisch gesunde Menschen auch immer
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