Leben macht Sinn
Licht auf: »Das kenne ich von irgendwoher«, »Das habe ich schon mal irgendwie erlebt«, »Da war ich schon einmal.« Meistens können wir es dann auch in Worte fassen, vergleichen, unterscheiden und dadurch besser verstehen. Jeder von uns braucht, um sich selbst zu verstehen, die anderen. Aber nicht als Kontrolleure, Aufpasser oder Besserwisser, sondern als Partner für Wertschätzung, Achtung und Beistand, damit wir uns selbst nicht verloren gehen. Wenn wir einander unsere Körnchen Wahrheit zeigen und von den Körnchen der Wahrheit der anderen lernen, das ist Wahrheit als Lebenspraxis, im Gegensatz zu den Wahrheiten, die in Büchern oder Herzen verschlossen bleiben. Teilen erweitert das Gesichtsfeld. Es kommt zum Austausch, zum Aushandeln, Umkreisen, Korrigieren, Abgrenzen, auch unserer Zweifel, unseres Nichtwissens und unserer Täuschungen. Denn das ist es, was uns verbindet: Wir alle leben damit, dass wir die Wahrheit weder absolut kennen noch für uns beanspruchen können. Solch eine Haltung schützt vor totalitären Ansprüchen – nicht nur gegenüber den äußeren, auchgegenüber den inneren. Wir nehmen die anderen in unsere Sinnwelt hinein und betreten ihre Sinnwelt in einer Weise, dass wir einander bereichern, erweitern. So tragen wir, wenn es in engagierter Zugewandtheit geschieht, zu einem guten Miteinander bei, das zu einem Füreinander, zu einer Erweiterung unseres Sinnerfassungsvermögens führt.
Wenn wir die Wahrheit spüren, wenn sie uns ergreift und bis ins Mark erschüttert, verblassen ohnehin jegliche Worte. Es bleibt ein Gefühl von Sprachlosigkeit gegenüber dem Ansinnen, eine solche Erfahrung überhaupt in Worte zu fassen. Kreative Ausdrucksformen wie das Musizieren, das Malen, das Tanzen, leben von diesen Segnungen unmittelbarer Wahrheit. Wenn es gelingt, sich zu öffnen und in dieses schwebende Ineinander des Denkens, Fühlens und Wollens einzutauchen. Der Musiker Peter Bastian hat es vorzüglich beschrieben: »Man braucht kein Musiker zu sein, um zu wissen, wovon ich rede. Ich erlebe es, dass sich dieser Zustand spontan in meiner alltäglichen Wirklichkeit einstellt. Beim Abwaschen! Plötzlich geht alles wie Ballett, die Teller hören auf zu klirren, die Spülbürste zeichnet unendlich befriedigende Arabesken auf das Porzellan, wie geheime Zeichen, die ich unmittelbar verstehe.«
Sowohl die Kunst als auch der Alltag bieten reichlich Beispiele fließender Energie und Stimmigkeit, die sich wie Wahrheit anfühlen. Sämtliche Aktivitäten, die sorgfältig vorbereitet und geübt sind, Situationen, in denen wir uns ganz hingeben und ohne Reserven füreinander da sind – im Gespräch in vertrauten Beziehungen, im Bett, beim Spielen oder am Küchentisch – immer dort, wo wir uns ohne Reserven einbringen. In solchen Momenten ist Wahrheit gleichbedeutend mit Sinn, Liebe, Einklang, Schönheit – mit dem Gefühl von Vertrauen in dieses reiche Leben. Macht das nicht tiefen Sinn?
Sinn ist das Schöne
Was wir täglich an Nützlichem tun, arbeiten und erledigen ist für die meisten noch nicht genug. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass uns trotz allem, was wir geschafft und erreicht haben, eine Sehnsucht einholt, die jenseits bloßer Bedürftigkeit liegt. Selbst im Alltag, wenn sich die Zwänge am Wochenende lockern, beginnen wir von Erfüllungen zu träumen, auch wenn wir sie nur in kleinen Gesten zu erfüllen vermögen: im Pflücken eines Wiesenblumenstraußes, im Anlegen der geliebten Halskette, im Dekorieren des Esstisches, im Üben eines Instrumentes oder im Studium ferner Länder. Inmitten der Turbulenzen unserer elektronisch besetzten Welt gewinnt für uns die Schönheit eines Sonnenuntergangs, die Einmaligkeit einer unwiederholbaren Begegnung, die Harmonie einer ruhenden Hand, ein anrührendes Lied oder eine Blume heute wieder an Bedeutung. Das Schöne, dem die Menschen so viele sehnsüchtige Namen gegeben haben, hat auch in unserer Welt der Technik und Zahlen sein Geheimnis bewahrt. Wir spüren intuitiv, wie es uns ergreift und erhebt, wie es unsere Sinne weckt und zu diesem Erleben führt, das Menschen mit Begriffen wie»sinnhaft«, »sinnreich«, »sinnvoll«, »tiefsinnig« beschreiben. In der Schönheit erleben wir Sinn unmittelbar, weil Schönheit auf uns wirkt, oft sogar noch, bevor wir wissen, warum. Über uns selbst hinausgehoben, empfinden wir Schönheit, die in Steinen, Bäumen, Gesichtern oder am Sternenhimmel, am Meer, in den Bergen zu uns spricht. Oder Schönheit, die
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