Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
direkt neben dem Haupteingang zum Zoo. Als die Feuerwehr anrückt, dauert es eine ganze Weile, bis die hoch auflodernden Flammen gebändigt sind. Die Feuerwehrleute schlagen erst einmal die Fenster ein, wodurch der Brand noch mehr angefacht wird und spritzen viel mehr Wasser ins Innere als nötig. Sie betreiben Sabotage, denn sie sind vorinformiert und wissen, worum es geht: Die Meldekarten im zentralen Einwohnermeldeamt sollen vernichtet werden, damit es von so vielen Männern wie möglich keine Unterlagen mehr gibt, um sie zum Arbeitsdienst nach Deutschland zu zwingen.
Noch in der Nacht schaltet sich die Sicherheitspolizei der Besatzer ein. 10 000 Gulden Belohnung werden ausgeschrieben. Dank einem Tipp sind innerhalb von drei Tagen die ersten Mitwisser und Mithelfer verhaftet. Weitere Verhaftungen folgen umgehend, unter der Folter werden Namen und Adressen genannt. Nach vierzehn Tagen sind bis auf drei Mann alle rund zwanzig Studenten und Künstler, die am Anschlag beteiligt waren, festgenommen; darunter auch der zweiundzwanzigjährige Rudi Bloemgarten von CS -6, der am 2. Februar einen Anschlag auf den Amsterdamer Generalstaatsanwalt verübt hatte. Der Bildhauer Gerrit Jan van der Veen, Motor der Widerstandsgruppe, bleibt unentdeckt.
Der bekannte Künstler, geboren 1902 in Amsterdam, gehörte zu einer Minderheit, die von Anfang an öffentlich jede Zusammenarbeit mit den Besatzern verweigerte. Gerrit van der Veen wurde Hauptredakteur der illegalen Zeitschrift Vrije Kunstenaar (Freier Künstler) und organisierte einen Nationalfonds für die Künstler, die keine Arbeit mehr fanden, weil sie nicht der NS -Kulturkammer beitraten. Im Sommer 1942 protestierte er mit einem Manifest gegen die Juden-Transporte. Doch er wollte konkreter helfen und Widerstand leisten. Was brauchten Juden und Nichtjuden, die untertauchten, am meisten, um zu überleben und Widerstandskämpfer, die sich mit Decknamen schützten? Jede Menge gefälschter Papiere!
Gerrit Jan van der Veen mit seinen zwei Töchtern: der Bildhauer bekämpfte die Besatzer aus dem Untergrund; seine Fälscherwerkstatt war unentbehrlich
Nach vielen Experimenten gelang einem Team von Grafikern, Druckern und Papierfachleuten, angetrieben von Gerrit van der Veen, ein Meisterwerk: einen gefälschten Personalausweis herzustellen, den auch die strengsten Kontrolleure nicht als Fälschung erkannten. Einer der Drucker erzählte später, dass man allerdings froh war, wenn der Hauptakteur nicht erschien, während die falschen Papiere gedruckt wurden. »Gerrit war ruhelos … Ich hatte das Gefühl, er war immer in Eile, als ob er fühlte, dass er nur wenig Zeit hatte. Wenn alles gut lief, druckten wir 3000 falsche Ausweise pro Monat.« Wie ein Besessener arbeitete Gerrit Jan van der Veen in seinem Versteck unterm Dach in der De Lairessestraat 6 an der Verfeinerung der Fälschungen; wenn nötig mit Hilfe von Amphetaminen.
Bald wurde seine Organisation, die Personenbewijzen Centrale ( PBC ), eine Anlaufstelle für alle, die im Widerstand arbeiteten. Hier wurde alles gefälscht, was neben dem Personalausweis an Papieren nötig war, um zu überleben – Lebensmittelstammkarten, Bons, Urkunden, Zeugnisse. Die PBC hat unter der Leitung von Gerrit van der Veen hunderttausende von erstklassig gefälschten Papieren hergestellt und begann seit dem Frühjahr 1943 mit anderen Widerstandsgruppen zusammenzuarbeiten. Auch zu jungen Leuten von CS -6, wie Rudi Bloemgarten, gab es Verbindungen.
Idee und Planung des Überfalls auf das Einwohnermeldeamt in der Plantage Kerklaan hatte Gerrit van der Veen. Sprengstoff wurde besorgt, Polizei-Uniformen genäht, über Monate geprobt. Bis am späten Abend des 27. März, einem Samstag, ein Trupp von sechs Männern, drei davon in Polizeiuniform, von der Prinsengracht zur Plantage Kerklaan marschierte, Gerrit van der Veen und der Schriftsteller Willem Arondeus an der Spitze. Die Uniformierten konnten die Polizisten, die das Einwohnermeldeamt bewachten, davon überzeugen, dass man Flüchtige verfolge und im Garten des Amtes weiter suchen wolle. Die Türen des Gebäudes öffneten sich, der ganze Trupp fand Einlass. Problemlos wurden die echten Polizisten überwältigt, betäubt und in den Garten gebracht. Es sollte keine Toten geben.
Dann folgte Schwerstarbeit: möglichst viele Stahlschubladen mit den Meldekarten aus den Verankerungen zerren, die einzelnen Karten herausreißen und auf dem Boden mit Benzol übergießen. Unterdessen hatten andere
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