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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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überbelegt war. Geliefert wurde die Verpflegung vom Café de Paris in Amsterdam Zuid, Ecke Beethovenstraat, wo in den dreißiger Jahren die gutbürgerlichen deutsch-jüdischen Emigranten die Szene beherrschten. Jedem Juden, der im Theater auf seinen Transport ins Lager Westerbork warten musste, standen pro Tag zu: ein Frühstück, eine kalte und eine warme Mahlzeit, zwei Tassen Kaffee; das machte 1,20 Gulden pro Mensch und Tag. Auch die Kosten für Heizung, Licht, Lautsprecher und Reinigung sind in den peniblen Abrechnungen des Jüdischen Rats eingetragen. Die Juden hatten außerdem zu zahlen für das Büromaterial, das beim Registrieren der Deportierten gebraucht wurde, für die Transportkosten und für die Nutzung eines Bahnsteigs am Hauptbahnhof, wo die Züge nach Westerbork warteten.
    Innerhalb der Schouwburg war der Jüdische Rat für die Organisation der ankommenden und dann in Richtung Bahnhof abtransportierten Juden zuständig. Der gesamte Komplex unterstand den Besatzern, konkret der Zentralstelle für jüdische Auswanderung. Die ZjA hatte auch angeordnet, dass die Innenräume zum größten Teil Tag und Nacht erleuchtet wurden, »um Fluchtversuche zu vermeiden«. Als verantwortlichen Leiter der Schouwburg-Organisation hatte der Jüdische Rat Walter Süskind eingesetzt. Süskind war 1936 mit seiner Familie aus Köln in die Niederlande emigriert und arbeitete als Manager im Unilever Konzern, bis er 1941 entlassen wurde, weil er Jude war. Der Sechsundvierzigjährige hatte holländische Großeltern und sprach fließend Niederländisch.
    Bewacht wurde die Schouwburg von jüngeren SS - und SD -Männern, die kriegsuntauglich waren. Fast täglich kam SS -Hauptsturmführer Ferdinand aus der Fünten von der ZjA vorbei. Walter Süskind setzte sein Kommunikationstalent ein, um die Deutschen, die mit den Juden tun und lassen konnten, was sie wollten, bei Laune zu halten, wenn nötig mit viel Alkohol. Zustatten kam ihm, dass er mit aus der Fünten in Gießen auf die gleiche Schule gegangen war. So verschaffte Süskind den gefangenen Juden kleine Freiräume und ermöglichte Hunderten die Flucht aus diesem Alptraum. Wir werden noch von ihm hören.
    Dass im Frühjahr 1943 so viele Menschen für Tage, sogar Wochen unter unwürdigen Umständen in der Schouwburg festgehalten wurden, hat zum einen mit den fortwährenden Razzien im ersten Quartal 1943 zu tun. Zugleich wurden täglich Juden im Theater abgeliefert, die von der »Kolonne Henneicke« auf den Straßen, in ihren Wohnungen oder im Untergrund aufgespürt worden waren. Allein vom 4. bis 31. März schleppten die 54 Judenjäger unter ihrem Chef Willem Christiaan Henneicke 3190 Juden an, ließen sich die Beute mit genauer Angabe von Alter und Adresse quittieren und erhielten anschließend von der Kasse der ZjA pro Kopf eine Prämie von 7,50 Gulden. Vom 1. April bis 5. Mai spürten sie weitere 2664 Opfer auf. Und das war noch nicht das Ende ihrer Jagd.
    Willem Henneicke wurde 1909 als staatenloser Sohn eines deutschen Immigranten geboren, die übrigen Mitarbeiter waren gebürtige Niederländer. Ihr Profil: knapp vierzig Jahre, fanatische Antisemiten, fast alle NSB ler, geringe Bildung, meist arbeitslos, bevor sie ab Sommer 1942 in der Hausratstelle der ZjA Arbeit finden und in Kolonnen die leeren Wohnungen deportierter Juden inventarisieren. Wegen Korruption und Diebstahl werden die Kolonnen Anfang 1943 aufgelöst. Nur die von Willem Henneicke bleibt und wird ab März von den Besatzern mit dem Aufspüren von Juden beauftragt, die sich den Transport-Aufrufen entzogen haben.
    Für alle Männer der Kolonne sind die attraktiven Prämien, die sich im Laufe der Monate auf bis zu vierzig Gulden pro Opfer steigern – neben dem ordentlichen Grundgehalt – ein starkes Motiv, endlich aus ärmlichen Verhältnissen herauszukommen. Offiziell Angestellte der Bank Lippmann, Rosenthal & Co. werden diese Judenjäger somit aus dem Vermögen bezahlt, das alle Juden auf Befehl der Besatzer bei der »Li-Ro«-Bank einliefern müssen. Das Hauptquartier der Kolonne Henneicke befindet sich bis Mai im Komplex des deutschen Sicherheitsdienstes in der ehemaligen Mädchenschule am Adama van Scheltemaplein. Ab Juni liegt der Schwerpunkt in der Noorder Amstellaan 244 (heute Churchill-Laan). Die gediegene Wohngegend in Amsterdam Zuid, in der Mitte des breiten Boulevards sind Büsche und Bäume gepflanzt, entstand in der Zeit des vorbildlichen Amsterdamer Städtebaus unter dem SPD -Politiker Monne de

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