Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Amsterdamer suchten Entspannung in dieser angespannten Zeit und fanden sie weiterhin im Kino, wo beliebte Filme mit Heinz Rühmann, Zarah Leander, Kristina Söderbaum und Hans Albers liefen. Oder sie gingen als Zuschauer ins Amstelparkbad, wo im Juli die nationalen Schwimmwettkämpfe ausgetragen wurden.
Während die Amsterdamer versuchten, die Mühen des Alltags wieder gleichmütig zu ertragen, machten Widerstandskämpfer einen weiteren Versuch und überfielen Mitte Juli das Gefängnis Weteringschans. Das riskante Unternehmen misslang, es kam zu einem Feuergefecht. Zwei der Angreifer wurden sofort erschossen, weitere Mitglieder des Überfallkommandos am 16. Juli exekutiert. Zur gleichen Zeit stürmte deutsche Sicherheitspolizei in das Einwohnermeldeamt, mit Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten. Der Verdacht, dass Mitarbeiter sozusagen an der Quelle falsche Ausweise für Untergetauchte herstellten, war berechtigt. Neun Personen wurden verhaftet, drei von ihnen wenig später erschossen.
Die Terrorspirale beschleunigte sich. Nach dem Attentat am 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler erhielten die Besatzer in den Niederlanden aus Berlin weitere Vorgaben, ihr blutiges tödliches Handwerk noch skrupelloser zu handhaben. Mit Berufung auf den »Niedermachungsbefehl« konnte die Sicherheitspolizei Widerstandskämpfer sofort erschießen, Verhaftungen und Gerichtsverhandlung wurden überflüssig. Der Amsterdamer Chef der deutschen Sicherheitspolizei, Willy Lages, allerdings blieb bei seiner »flexiblen« Strategie: sich politische Gefangene als »Todeskandidaten auf Abruf« zu halten. Sie sollten zur Abschreckung öffentlich erschossen werden, wenn es zu neuen Widerstandsaktionen kam und die Täter nicht sofort gefunden wurden.
Ein besonders perfides Spiel trieben die Besatzer im August. Es war ihnen gelungen, mehr als zwanzig Mitarbeiter und Verteiler der illegalen Zeitschrift Trouw zu verhaften. Darunter waren Freunde und Verwandte von Willem Speelman, der Trouw 1943 in Amsterdam gegründet hatte und seitdem ihr leitender Kopf war. Die Deutschen ließen Speelman wissen: Wenn er die Zeitung einstellte, kämen die Verhafteten frei, andernfalls würden sie erschossen. Der Fünfundzwanzigjährige entschied: »Wir machen weiter.« Alles andere wäre Verrat an der freiheitlichen Idee, für die alle Mitarbeiter ihr Leben riskierten. Wenig später standen 23 der verhafteten Trouw-Mitarbeiter vor einem deutschen Erschießungskommando.
Ebenfalls im August beschlossen die Besatzer, die normalen Bürger noch entschiedener in den totalen Kriegseinsatz einzubinden: Die Jahrgänge der achtzehn- bis zweiundzwanzigjährigen niederländischen Männer sollten ohne Ausnahme erfasst werden, um Arbeitsdienst im deutschen Reich zu leisten. Am 25. August machte die deutsche Polizei Razzia auf junge Männer im Amstelparkbad. Am 2. September wurde Heck’s Lunchroom am Rembrandtplein abgesperrt und alle Männer mussten ihren Ausweis vorzeigen. Wer in die Kategorie »Arbeitsdienst« fiel und keine gültige Freistellung besaß, musste sofort mitkommen.
Dass deutsche Polizei mit ihren dunkelgrünen Autos durch die Straßen Amsterdams fuhr, hier und da anhielt, vielleicht in einem Haus verschwand: nichts besonderes. Wenn sie mit Bewohnern wieder heraustrat, die hastig in das Polizeiauto getrieben wurden, besser nicht hinschauen. Am 4. August, einem Freitagmorgen, hielt ein Polizeiauto vor dem Haus Prinsengracht 263, und vier Männer verschwanden im Inneren, ein SS -Führer vom deutschen Sicherheitsdienst und drei niederländische Agenten. Die Besatzer hatten per Telefon einen anonymen Tipp bekommen: im Hinterhaus sollten untergetauchte Juden leben. Das drehbare Bücherregal, der Zugang zum Versteck, war schnell entdeckt. Otto Frank, seine Frau Edith und die Töchter Margot und Anne leisteten keinen Widerstand, ebensowenig das Ehepaar Pels, ihr Sohn Peter und Fritz Pfeffer, als die Männer auftauchten und es hieß: Mitkommen!
Seit dem Juli 1942 hatte sich das Leben der Untergetauchten in diesen Wänden abgespielt, nur Blicke waren ab und an in die Welt draußen erlaubt. Während das grüne Auto mit den acht Juden und zweien ihrer Helfer an der nächsten Brücke links über die Gracht fuhr, wieder links und längs der Prinsengracht Richtung Amsterdam Zuid, ging Mies Giep, Vertraute und Helferin der Familie Frank, hinauf in das leere Versteck. Beschriebene Blätter lagen verstreut auf dem Boden, Anne Franks Tagebuch. Schnell sammelte Mies Giep alles
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