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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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verletzt entkommen sie in die Prinsengracht 856 und werden sofort auf dem Dachboden in Sicherheit gebracht.
    In dem schönen alten Grachtenhaus haben 1926 zwei Frauen – unerhört für damalige Zeiten – den Verlag »Der Spiegel« gegründet, in dem Bücher über Kunst und Literatur erscheinen. Gerrit van der Veen ist hier kein Unbekannter. Die Verlagsgründerinnen verweigerten 1942 die Zusammenarbeit mit der nationalsozialistischen »Kulturkammer«, begannen verbotene Bücher herauszubringen und haben seitdem Kontakt zu Gerrit van der Veen, der seit Beginn der Besatzung im Widerstand der Künstler aktiv ist. Im Spiegel-Verlag arbeitet auch die Nichte von Wally van Hall, Suzie Boissevain. Sie und der Bildhauer wurden ein Paar.
    So gut wie möglich wird der Schwerverletzte nach seiner Flucht in seinem Versteck versorgt, Gerrit van der Veen kann sich kaum bewegen. Am 12. Mai stürmen die Deutschen das Haus, finden und packen van der Veen, verhaften Suzie Boissevain und Jantina van Klooster, eine der Verlagsgründerinnen. Wieder muss es einen Verräter gegeben haben. Am 8. Juni wird Franciscus Duwaer, der Druckereibesitzer, beim Herstellen gefälschter Ausweise angetroffen und verhaftet.
    Nur zwei Tage später, am 10. Juni 1944, verurteilte ein deutsches SS - und Polizeigericht Gerrit an der Veen, den dreiunddreißigjährigen Franciscus Duwaer und weitere fünf Mitstreiter in Amsterdam zum Tode. Am gleichen Abend wurden die Verurteilten in den Dünen von Overveen erschossen. Kurz zuvor konnte Gerrit van der Veen noch ein paar Zeilen schreiben: »Ich wusste immer, welches Risiko ich einging, und will mich deshalb nicht beklagen. Aber ich finde es doch schade.« Suzie Boissevain wurde ins Frauenlager Ravensbrück deportiert und kam von dort ins KZ Dachau, wo sie am 29. April 1945 mit den übrigen Häftlingen von der US -Armee befreit wurde. Jantina van Klooster überlebte das Lager nicht; sie starb im Januar 1945 in Ravensbrück.
    Die Gefangenen werden es wenige Tage vor ihrem Tod noch erfahren haben, denn die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch Amsterdam: Am 6. Juni landeten die Truppen der Alliierten in der Normandie. Die Zeit begann schneller zu laufen, die Lethargie der Amsterdamer war wie weggeblasen. Die Besatzer wurden sichtlich nervös.
    »Invasionsstimmung in der ganzen Stadt. Überall standen Menschen in Gruppen; aus den Kinos wie den Cafés wurden die Besucher herausgeholt; deutsche Autos in rasender Fahrt, Soldaten in voller Ausrüstung, denen man schmunzelnd hinterherschaute. Und wir naive Bürger stellen Vermutungen an, reden und fantasieren. In Zeebrügge sollen die Alliierten gelandet sein, nein, in Vlissingen … Luftlandungen in Brabant, Bomben … und jetzt eine ganz schnelle Befreiung. Vier Jahre Krieg sind plötzlich wie weggefegt.« Das notiert Hendrik Jan Smeding am 9. Juni spät abends. Und so fährt er am nächsten Morgen, es ist ein Samstag, fort: »Was für eine Farce. Es ist nichts davon wahr. Keine Landung in unserem Land, keine Bombardierungen … Trotzdem will ich den gestrigen Abend nicht missen: Es war ein Vorgeschmack von Freiheit …«
    Am 11. Juni 1944 kommt Reichskommissar Seyß-Inquart von Den Haag herübergefahren, um demonstrativ ein Konzert im Concertgebouw zu besuchen: Zum 80. Geburtstag von Richard Strauss dirigiert der Deutsche Eugen Jochum drei Werke des Komponisten.
    Ausgerechnet am 10. Juni hatten die niederländischen NS -Anhänger im Concertgebouw den lange geplanten Abschluss ihrer Kampagne »Kampf um Amsterdam« gefeiert. Die Kampagne hatte die Moral der »Kameraden« kaum gehoben. In den Wochen nach der Invasion ging das öffentliche Engagement bei vielen Parteimitgliedern in der Hauptstadt so sehr zurück, dass die NSB -Zeitschrift Die Tat sich über »diese Kameraden« mokierte: »Verlieren wir, werden sie doch auch am nächsten Baum aufgehängt.«
    Bei denen, die die NSB ler gerne aufgehängt sahen, schlug die euphorische Invasions-Stimmung Mitte Juni in tiefe Enttäuschung um. Das zermürbende Auf und Ab der politischen Lage fräste sich ins Gemüt, und das entging den Besatzern nicht. Sie zeigten keine Schwächen, sondern zogen die Zügel noch weiter an. Alle privaten Amsterdamer Telefonanschlüsse wurden abgeschaltet. Ausgangssperre war schon um 22 Uhr statt wie zuletzt um 23 Uhr. Bei öffentlichen Veranstaltungen musste um 21 Uhr Schluss sein, nicht wie bisher um 22 Uhr.
    Warum bloß kamen die Alliierten in der Normandie so langsam voran? Die

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