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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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portugiesischen Juden auf der Amsterdamer Liste seien 108 aufgegriffen und am Morgen in zwei Sonderwagen an den fahrplanmäßigen Zug nach Westerbork angehängt worden. Auch dreizehn aus Rotterdam, aus Leiden und Katwijk je einer seien festgenommen; dazu drei Kinder: dreieinhalb, zwei Jahre und vierzehn Tage alt.
    »Heute Abend 120 Portugiesen aus Amsterdam angekommen«, schreibt Philip Mechanicus am 2. Januar 1944 in seine Westerborker Chronik. Er nannte sie die »Aristokraten unter den Juden«, lässt aber erkennen, dass er für Illusion hält, was sie beweisen wollen: dass sie »durch und durch Portugiesen« sind. Im Lager leben noch rund 4700 gefangene Juden unter erbärmlichen Umständen. Auch im Januar und Februar 1944 gehen dienstags die Transporte nach Auschwitz, »regelmäßig wie eine Uhr«, so Philip Mechanicus. Der Vierundfünfzigjährige, der das Schreckliche seit Monaten sachlich-nüchtern in seinen Tagebuch-Heften festhielt, läßt am 1. Februar seinen Gefühlen freien Lauf:
    »Der Transport ist weg, und wir haben das Gefühl, als wäre die Familie kleiner und ärmer geworden … So sind Tausende und Abertausende abgefahren, mit dem Mut der Verzweiflung. Für die Zurückbleibenden verschwanden sie in einer dunklen Höhle, die sich hinter ihnen schloss. Wo seid ihr, Tausende, Zehntausende, die ihr von diesem Ort fortgerissen wurdet, welches Schicksal hat euch ereilt?«
    Am 6. Februar notiert Philip Mechanicus: »… die Portugiesen haben einen empfindlichen Schlag einstecken müssen: Jetzt fahren die meisten am Dienstag wie Vieh nach Auschwitz. Ihre langen schmuddeligen Listen mit ihrer Ahnengalerie können sie verbrennen.« Unerwartet gibt es Aufschub, bis zum 20. Februar. Da werden sie in die Baracke 83 befohlen, »22 Sippen mit 273 Personen«. Deutsche Ärzte, der Lagerkommandant und ein Obersturmbannführer begutachten sie. Sofort spricht es sich im Lager herum. Philip Mechanicus: »Witzbolde sagen, dass die Portugiesen nun offiziell für meschugge erklärt worden sind.« Das Urteil der »Gutachter« kennen wir aus den Akten der Besatzer: »Rassisches Untermenschentum – behandeln wie alle Juden. Da gerade diese Gruppe für Arbeit nicht tauglich … noch in dieser Woche dem Zug nach Theresienstadt anschließen.«
    Theresienstadt immerhin, nicht Auschwitz – Aufatmen bei den Betroffenen. Bei den Insassen von Westerbork hat das Lager Theresienstadt in Böhmen, das die Deutschen in ihrer Propaganda als »Vorzeigelager« nutzen, fast den Ruf einer »jüdischen Sommerfrische«. Philip Mechanicus nennt es skeptisch »das vorgegaukelte Mekka der Juden«. Dass die portugiesischen Juden nach Theresienstadt fahren, sieht er illusionslos: »Die Portugiesen sind gewogen und für zu leicht befunden worden. Der Status eines Ariers bleibt ihnen versagt. Sie fahren alle in den Osten, sogar die getauften Portugiesen.« Am 25. Februar 1944 besteigen im Lager Westerbork 308 portugiesische Juden den Zug nach Theresienstadt, als »bevorzugte« Gruppe. Am 5. April fahren noch einmal 289 zum gleichen Ziel. Ist es die Rettung?
    Am 8. März 1944 sind auch für Philip Mechanicus alle Versuche, weiteren Aufschub vom Transport zu erhalten, an ihr Ende gekommen. Sein Name bleibt auf der Liste, und Mechanicus besteigt in Westerbork den Zug ins Lager Bergen-Belsen bei Celle, immerhin nicht Auschwitz. Ist es die Rettung?
    Männern wie Wally van Hall und Henrik Dienske, die sich persönlich engagiert hatten, um Juden zu retten, war schmerzlich bewusst, dass die Netzwerke des nichtjüdischen Widerstands, die sich im Sommer 1943 zusammentaten, für die ganz große Mehrheit der niederländischen Juden zu spät kamen. Doch das war für sie kein Grund, im Kampf gegen die Besatzer nachzulassen. Jetzt galt es, die, die der Verfolgung entkommen und untergetaucht waren, zu unterstützen. Die führenden Widerständler lebten seit langem unter falschem Namen in der Illegalität. Sie wussten das Risiko ihrer Arbeit einzuschätzen: lebensgefährlich.
    Organisationen wie die landesweite »Hilfe für Untergetauchte« ( LO ), und der »Nationale Unterstützungsfonds« ( NSF ), die Dienske und van Hall aufgebaut hatten, leisteten keinen bewaffneten Widerstand. Aber ihre weitverzweigten finanziellen Hilfen, die wöchentlich von tausenden Mitarbeitern illegal ausgezahlt wurden, waren für zehntausende Untergetauchte und deren Familien lebenswichtig, und es wurden immer mehr. Neben den Geldern mussten für die Untergetauchten

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