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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Lärm der Flugzeuge und haben »das unwirkliche Gefühl einem Schauspiel beizuwohnen«, aber »zwischendurch auch das Bewusstsein, persönlich davon betroffen zu sein«. Als der Lärm der Bomber verflogen war, sangen schön wie sonst kaum die Drosseln in den Lindenbäumen unten auf dem Platz.
    In ihrer Wohnung in der eleganten Beethovenstraat hatten die Fotografin Grete Weil und ihr Mann Edgar, deutsch-jüdische Flüchtlinge aus München, am Abend des 9. Mai zwei kleine Koffer für einen Kurzurlaub auf einer holländischen Nordseeinsel gepackt. In zwei Tagen war Pfingsten. Das Ehepaar wird von lautem Schießen geweckt, sieht vom hochgelegenen Schlafzimmer das brennende Schiphol. Das Schießen wird immer heftiger. Was Grete Weil nicht weiß: Es sind die Abwehrgeschütze von Amsterdam, die sich gegen angreifende deutsche Flugzeuge richten. Ihr wird übel, sie geht in die Küche, macht Tee. »Dann, sehr spät, kommen wir auf die Idee, das Radio einzuschalten … Jetzt ist es klar: Die Deutschen haben das neutrale Holland überfallen.«
    Die Tagebücher und Erinnerungen von Amsterdamern erzählen uns, dass es unzähligen Bewohnern der Hauptstadt ähnlich ging. Sie wurden gegen vier Uhr morgens im Schlaf vom Dröhnen der Flugzeuge überrascht, öffneten die Fenster, liefen im Pyjama auf die Straße oder zum Nachbarn. Sie glaubten an englische Flugzeuge oder Manöver, sahen die schwarzen Wolken über Schiphol. Krieg? Die einen begriffen es allmählich, andere konnten es nicht glauben.
    Wieder andere erfuhren erst am Morgen, was die Nacht gebracht hatte. »Ich selbst hörte nichts«, schreibt die dreiundzwanzigjährige Mirjam Levie ihrem Verlobten Leo Bolle in Palästina, »aber Vater hatte die ganze Nacht vor dem Radio gesessen … Er weckte mich morgens wie immer um acht Uhr und sagte: ›Die Hölle ist ausgebrochen. Es ist Krieg.‹ Ich blieb noch im Bett liegen … Aber die Tatsache selbst, dass Krieg herrschte, war noch nicht wirklich zu mir durchgedrungen.«
    Wie jeden Morgen krähte zu Beginn der 8-Uhr-Nachrichten fröhlich der Hahn aus dem Radio. Dann wurde eine Proklamation der Regierung verlesen. Am Morgen um 5 Uhr 30 hatte in Berlin der deutsche Außenminister den niederländischen Gesandten zu sich bestellt, und ihm erklärt, Holland habe die Neutralität verletzt, weshalb deutsche Truppen die Grenzen überschritten hätten. Sie kämen nicht als Feinde, Widerstand allerdings würde mit allen Mitteln gebrochen. Die Regierung in Den Haag verkündete ihrer Bevölkerung, sie habe »flammenden Protest« gegen diese Unterstellung eingelegt. Wenig später klagte Königin Wilhelmina ihrerseits in einer Proklamation über »den beispiellosen Bruch der Neutralität«.
    Gegen alle politische Vernunft hatte Hollands Regierung seit Jahren den Glauben geschürt, das Land werde von der aggressiven Politik Deutschlands ausgenommen, wenn man den Diktator nur pfleglich behandle. Kein Wunder, dass die Bevölkerung den Krieg, mit dem Deutschland die Niederlande am frühen Morgen des 10. Mai überzogen hatte, nicht fassen konnte, weder mit dem Verstand noch mit dem Gefühl.
    Während die 8-Uhr-Nachrichten liefen, waren in Amsterdam die meisten Schüler und Schülerinnen auf dem Weg zur Schule. Dort sagten ihnen die Lehrer, geht nach Hause, ihr werdet im Radio hören, wie es weitergeht. Die Schüler verhehlten ihre Freude darüber nicht. Wie in Trance gingen die Erwachsenen an ihre Arbeit – in den Büros, in der Stadtverwaltung, in den Fabriken. Hatte nicht die Königin dazu aufgerufen, jeder müsse an seinem Platz seine Pflicht tun?
    Die Stempellokale blieben geschlossen, die Arbeitslosen durften zuhause bleiben. Man konnte nicht telefonieren, aber Gas und Licht funktionierten. Der normale Postverkehr war unterbrochen, Telegramme konnten aufgegeben werden. Man sah nur wenige Autos auf den Straßen, aber die Straßenbahnen fuhren. Im Radio spielte die katholische Abteilung ab sofort keine englische Musik, um die Deutschen nicht zu verärgern. Die Programme der Sozialdemokraten entschieden sich für das Gegenteil: keine deutschen Platten aufzulegen.
    Mirjam Levies Vater hatte sofort Klebeband gekauft und die Familie verbrachte, wie viele andere, den Vormittag damit, das Band quer über die Fenster zu kleben. Es sah scheußlich aus und verdüsterte die Wohnung, sollte aber verhindern, dass bei starken Druckwellen, wenn Bomben explodierten, die Fenster platzten und die Scherben herumflogen.
    Anschließend ging Mirjam Levie, die als

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