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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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alle Texte auf Niederländisch.
    Im Februar 1940 kommt das Düsseldorfer Theater zu einem Gastspiel an die Amstel mit Schillers »Don Carlos« – ausgerechnet. Immer noch gilt für alle Verantwortlichen in den Niederlanden, dass Deutschland ein befreundetes Land ist, und deshalb trotz der Kriegszeiten anti-deutsche Meinungsäußerungen verpönt sind. Als der Marquis Posa dem König Philipp auf der Bühne ins Gesicht schleudert »Geben Sie Gedankenfreiheit« und das Amsterdamer Publikum demonstrativ Beifall klatscht, gehen sofort die Lichter im Saal an. Blitzschnell ziehen Polizisten, die in Zivil im Publikum saßen, die lautesten Klatscher aus dem Verkehr. Einigen von ihnen wird wegen »Störung der öffentlichen Ordnung« der Prozess gemacht.
    Der Winter 1939/40 bricht alle Kälte-Rekorde in den Niederlanden. Endlich kann Ende Januar wieder einmal der traditionelle »Elf-Städte-Lauf« auf Schlittschuhen über zugefrorene Kanäle und Seen stattfinden, der auf zweihundert Kilometern elf Städte und Dörfer in der Provinz Friesland verbindet. Bis weit in den Februar 1940 frönen die Holländer ihrem Lieblingssport, auch Königin Wilhelmina gleitet mit der Familie noch lange übers Eis. Es ist eine erweiterte Familie, seit Prinzessin Juliana im Januar 1937 den deutschen Adligen Bernhard zur Lippe-Biesterfeld geheiratet hat. Bernhard ist ein Charmeur, der die Herzen von Tochter und Mutter gewann, mit Stars von Film und Revue befreundet war, seiner Frau Paris und Budapest zeigte, sie für modische Kleider und Frisuren gewann und die strenge, calvinistisch geprägte Stimmung bei Hofe merklich auflockerte. Die Königin stellte eigenhändig Aschenbecher für den Schwiegersohn in die Salons, und ihre Tochter Juliana traute sich, im Beisein der Mutter die bisher verpönte Zigarette anzuzünden. Inzwischen hatte das Paar zwei Töchter, Beatrix und Irene.
    1940: Ein neues Jahr hat begonnen – neue Hoffnungen, neue Ängste. Ab und zu gab es in der Hauptstadt etwas zu feiern, auf das man stolz sein konnte, im März 1940 war es das vierzigjährige Bestehen des Fußballklubs Ajax Amsterdam. Im gleichen Monat starb der letzte Nachtwächter Amsterdams mit 86 Jahren. Wer politisch Flagge zeigen wollte, ging am 1. April ins Theater Bellevue zu einer Veranstaltung unter dem Motto: »Kein Rassenhass in den Niederlanden!« Zu den Rednern zählte auch der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Am Tag danach war die ganze Nation stolz: Vom Amsterdamer Flughafen Schiphol aus startete die Königliche Luftfahrtgesellschaft ( KLM ) einen regelmäßigen Flugdienst für Güter nach Lissabon.
    Am 9. April 1940 war es vorbei mit den angenehmen Alltäglichkeiten. Die Nachrichten und Schlagzeilen meldeten: Überfall der deutschen Wehrmacht auf Dänemark und Norwegen. Dänemark kapitulierte kampflos noch am gleichen Tag; Norwegen leistete heftigen Widerstand. Wann waren die Niederlande an der Reihe?
    In Amsterdam jedoch packte niemand die Koffer, um sich auf den kurzen und noch freien Seeweg nach England zu machen. Weder wohlhabende niederländische Juden noch deutsch-jüdische Emigranten flüchteten, auch nicht linke Intellektuelle, die davon ausgehen konnten, dass ihr Leben in Gefahr war, wenn deutsche Soldaten über die Grenze marschierten. Die Historikerin und Schriftstellerin Annie Romein-Verschoor, die mit Mann und drei Kindern nur wenige Minuten von der Familie Frank entfernt im Hochhaus in Amsterdam Zuid wohnte, schreibt in ihren Erinnerungen, wie schwer es ist, diese gespaltene Sicht im Nachhinein zu begreifen. Da waren die Gerüchte über etwas, »das ebenso unvorstellbar wie unausweichlich schien«. Man wartete wie das Kaninchen auf die Schlange und ließ sich doch nicht von der Sicherheit abbringen »that can’t happen here«. Schließlich lebten die Niederlande seit über hundert Jahren im Frieden.
    Am 19. April erklärte die niederländische Regierung den Ausnahmezustand, ohne vom Kurs der Neutralitätspolitik abzuweichen. Am 20. April war ein festlicher Empfang im Krasnapolsky am Dam, das beliebte Amsterdamer Luxushotel hatte 75. Geburtstag. Am 2. Mai war Himmelfahrt, ein strahlender vorsommerlicher Tag. Die Amsterdamer saßen auf den Terrassen vor den Cafés, schlenderten durch Vondel- und Oosterpark. Oder sie fuhren beschwingt mit ihren Fahrrädern aus der Stadt hinaus wie der sechsundzwanzigjährige Louis de Jong mit seiner Frau Liesbeth. Das junge Paar, das sein erstes Kind erwartete, genoss den schönen

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