Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Goedehart, schrieb seit dem Juni 1940 alle vierzehn Tage den illegalen »Nachrichtenbrief Pieter ’t Hoent«, und verteilte ihn mit Gleichgesinnten. Het Parool soll über Amsterdam hinaus im ganzen Land umfassend und professionell gegen die Propaganda der Besatzer und jedwede Kollaboration immunisieren und eine moralische Stütze sein. Die erste Seite der Nr. 1 berichtet über den deutschen Terror und antijüdische Maßnahmen mit der Überschrift: » WIR WOLLEN DAS NICHT !«
Als der Mietvertrag an der Keizersgracht im März ausläuft, zieht die Redaktion mit dem Vervielfältigungsapparat zum Damrak. Het Parool erscheint alle zwei bis drei Wochen mit acht Seiten. Die Verteilerzentrale für die gesamten Niederlande befindet sich in einem Amsterdamer Lagerhaus in der St. Nicolaasstraat und an der Lijnbaansgracht. Hier beginnt der gefährlichste Teil der Widerstandsarbeit. Die Besatzer unterschätzen die illegale Presse nicht; im März richtet der SD (Sicherheitsdienst der SS ) in Amsterdam ein eigenes Referat zur »Hetzschriftenbekämpfung« ein.
Am 10. Februar 1941 sind ungeachtet der Kritik von Seiten der Besatzer wieder WA -Trupps ins Judenviertel marschiert, und provozieren Straßenkämpfe. Diesmal erleben sie, dass die Angegriffenen sich massiv zur Wehr setzen. Die jungen jüdischen Männer im Viertel wollen nicht länger Opfer sein. Der Leiter einer jüdischen Boxschule hat vierzig bis fünfzig seiner Mitglieder in Kampfgruppen organisiert, um dem wachsenden Terror der niederländischen Nazis Widerstand zu leisten. Unauffällig sind einige von ihnen ständig über die Cafés im Viertel verteilt, um Gerüchte und Warnungen sofort weiterzugeben.
Außerdem haben die jüdischen Bewohner handfeste Unterstützung durch Arbeiter aus dem Jordaan und dem Werftviertel Kattenburg bekommen, die nichts lieber tun, als den Nazis einmal kräftig auf den Kopf zu hauen. Die Arbeiter sind ohnehin in kämpferischer Stimmung. Nachdem sie sich den Winterzuschlag erstritten hatten, forderte die Deutsche Marine, rund 3000 Arbeiter zwangsweise auf deutsche Werften zu schicken. Massiver Protest machte daraus eine freiwillige Aktion. Doch auch freiwillig will niemand in Deutschland arbeiten. Die Arbeiter haben für Mitte Februar wieder einen Streik angedroht, falls die gesamte Maßnahme nicht zurückgenommen wird.
11. Februar – Im Judenviertel macht das Gerücht die Runde, WA -Männer wollten eine Synagoge in Brand stecken. Mittags drehen junge Juden den Spieß der Gewalt um: Zusammen mit nichtjüdischen Arbeitern überfallen sie das Malergeschäft eines NSB -Mitglieds an der Oudeschans, wo Überfälle ins Judenviertel organisiert werden. Es gibt drei Verwundete.
Das können die WA -Männer nicht auf sich sitzen lassen. Es ist kurz vor sieben Uhr, ein nebliger Abend, als ungefähr vierzig von ihnen zum Waterlooplein und tiefer ins Judenviertel ziehen. Dort warten rund achtzig Juden und Arbeiter mit Eisenstangen, Ketten, Billardstöcken und Messern: »Wenn sie kommen, schlagen wir zurück«. Es wird »ein Kampf auf Leben und Tod«. Schließlich flüchten die Nazis über die Blauwbrug und lassen einen der ihren schwerverletzt auf einer Straße im Judenviertel liegen. Es ist der zweiundvierzigjährige Hendrik Koot, NSB -Mitglied und sehr aktiv in der WA . Koot stirbt drei Tage später an den Verletzungen.
Noch in der Nacht erscheint die deutsche Polizei im Judenviertel und verhaftet zwanzig junge jüdische Männer. Der Vorfall verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Monne de Miranda, der 1939 durch eine Intrige sein Amt als Beigeordneter verloren hatte, schreibt in sein Tagebuch, die Stimmung der Amsterdamer sei auf Seiten der Juden und ihres entschiedenen Auftretens. Nichtjüdische Tagebuchschreiber, Männer wie Frauen, notierten stolz, dass Amsterdams Arbeiter an der Seite der Juden kämpften. Einunddreißig Minuten nach Mitternacht, während die meisten Amsterdamer schlafen, läuft über den Telegrafen im Hauptquartier der Amsterdamer Polizei eine Mitteilung von Hans Böhmcker ein: Am nächsten Morgen um sechs Uhr wird das alte Judenviertel von der übrigen Stadt abgesperrt. Der schwerverletzte WA -Mann kam den Besatzern gerade recht, um die Gewaltschraube gegenüber den Juden rigoros anzuziehen.
12. Februar – Wer an diesem Morgen über die Magere Brug, eines der Amsterdamer Wahrzeichen, mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder die Amstelbrücke zu Fuß überqueren will, egal in welche Richtung, steht vor einer
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