Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
volljüdischen Großelternteil abstammen«. Das bedeutet: Mit der Verordnung Nr. 6 soll in den Niederlanden die größtmögliche Anzahl von Menschen als »jüdisch« abgestempelt und auf Karteikarten erfasst werden.
Jeder, der in die Kategorie »ganz oder teilweise jüdisch« fiel, war verpflichtet, gegen Zahlung von einem Gulden beim Einwohnermeldeamt einen Fragebogen zu holen und auszufüllen. Wer sich weigerte oder falsche Angaben machte in Bezug auf Adresse, Alter, Beruf, Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde, jüdische Großeltern und Ehepartner, dem drohten bis zu fünf Jahre Haft und Beschlagnahme des Vermögens.
Aus den Wochen, die der Verordnung Nr. 6 folgten, sind keine Proteste der christlichen Niederländer gegen die Aus- und Absonderung der jüdischen Niederländer auf dem Verwaltungswege bekannt. Innerhalb jüdischer Kreise, vor allem unter jungen Menschen, wurde heftig diskutiert. Trotz mancher Ängste, was die Folgen der Registrierung sein könnten, entschieden sich über neunzig Prozent der Betroffenen für den Gang zum Einwohnermeldeamt. Nicht wenige taten es mit Stolz auf ihr Judentum und dem solidarischen Gefühl »Jetzt erst recht«. Beruhigend wirkte sich aus, dass es niederländische Behörden waren und nicht die Deutschen, die alles in den Händen hatten. Mit ihrer niederländischen Obrigkeit waren die Juden seit Jahrhunderten gut gefahren. Nur ganz wenige Juden traten aus der jüdischen Gemeinde aus, um der Meldepflicht zu entgehen oder versuchten, sich christliche Väter oder arische Großeltern beurkunden zu lassen. In Amsterdam weigerten sich gerade mal ein Dutzend Juden, an der Registrierung teilzunehmen.
Im Sommer lag die genaue Statistik vor, an der zu zweifeln es keinen Grund gibt: 1941 lebten in den Niederlanden 140 522 »Volljuden«, davon waren 14 381 jüdische Immigranten aus Deutschland, 7621 kamen aus anderen Nationen. In dieser Gesamtzahl waren die Amsterdamer Juden eingeschlossen: Von den 140 522 Juden lebten 79 352 in der Hauptstadt, von ihnen waren 69 111 niederländische Juden, 6919 deutsch-jüdische Emigranten und ein paar wenige aus anderen Nationen. Die Zahl der getauften Juden lag bei weniger als einem Prozent. Mit der Registrierung hatten die deutschen Besatzer nach der erfolgreichen Separierung von jüdischen und nichtjüdischen Angestellten und Beamten durch die »Ariererklärung« im November 1940 einen weiteren Schritt getan, um die jüdische Bevölkerung mit Hilfe von Listen und Statistiken immer genauer einkreisen und lokalisieren zu können. Denn um gemäß der NS -Wahnidee »das jüdische Blut« zu diskriminieren und zu isolieren, musste man wissen, wo man es finden würde. Je feiner das Informationsraster, um so erfolgreicher würde die Jagd sein.
Gut drei Wochen nach seinem Gang über den jüdischen Markt am Waterlooplein schickte Hans Böhmcker am 16. Januar an die »Gemeinde Amsterdam« einen Brief mit sieben Fragen. Es geht um eine statistische Erfassung, wie sich die jüdischen Bewohner auf die verschiedenen Stadtviertel verteilen. In welchen Vierteln leben die meisten Juden; wie verteilen sich dort jüdische und nichtjüdische Haushalte; wie viele jüdische Händler sind für die Versorgung der Juden zuständig; welche Busse und Straßenbahnen führen durch die sogenannten Judenviertel; welche Schulen und soziale Einrichtungen liegen dort. Böhmcker erwähnt mit keinem Wort, warum er diese Erkundigungen einzieht, nur schnell möchte er sie haben.
Die zuständigen Abteilungen der Amsterdamer Verwaltung stellen keine Fragen, als sie am 20. Januar zusammenkommen, um die anfallende Arbeit zu verteilen. Auch von Bedenken oder Einwänden ist im Protokoll keine Rede. Voller Eifer machen sich die Experten ans Werk. Einzelne Beamte werden in den Judenvierteln von Wohnung zu Wohnung gehen und erfassen, wer dort Jude ist. Der Chef des Einwohnermeldeamts wird Böhmckers Forderungen noch übertreffen, und nicht nur die Anzahl der jüdischen Händler liefern. Er recherchiert zusätzlich noch deren Namen und gibt Kopien der neu erstellten Karteikarten über die jüdischen Amsterdamer ans Wohnungsamt weiter. Dort werden sie nach Straßen katalogisiert. In Zukunft braucht man nur die Straßenregister durchzugehen und erfährt, wer dort wo als Jude wohnt.
Als das detaillierte Konvolut Mitte Februar vom Rathaus in das Büro von Hans Böhmcker geschickt wird, hat das einschüchternde Auftreten von WA -Trupps die jüdische Bevölkerung Amsterdams
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