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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Sportvereine, katholische, jüdische und protestantische Jugendgruppen, Heimatvereine, Betriebsklubs. Die Kirchen protestierten als einzige, ohne je eine Antwort zu bekommen. Die Besatzer waren so klug, die internen Strukturen der Kirchengemeinden nicht anzutasten. Von solchen kleinen Inseln abgesehen, wurde die niederländische Gesellschaft Institution für Institution gleichgeschaltet. NS -Deutschland war auch organisatorisch das große Vorbild. Einschneidend war die Auflösung der eigenständigen niederländischen Berufsverbände und die Bildung neuer Zwangsvereinigungen für Lehrer, Ärzte, Journalisten im Laufe des Jahres 1941, in denen eifrige NSB ler das Sagen hatten. Nur die Ärzte wehrten sich zu tausenden, traten aus, gründeten eine Gegenorganisation – und mussten am Ende doch einem Kompromiss zustimmen.
    Im November wurde – auch dies analog zu Deutschland – die niederländische Kulturkammer gebildet, der alle Künstler im weitesten Sinne – vom Kabarettisten bis zum Drehorgelspieler, vom Schriftsteller bis zum Schlagerkomponisten und zum Pianisten in der Hotelbar – beitreten mussten, andernfalls durften sie ihren Beruf nicht ausüben. Juden war die Mitgliedschaft verboten. Nicht wenige Zwangsmitglieder standen sich finanziell besser als in Zeiten der Freiheit. Die Besatzer wussten, dass Geld vieles aufwiegt und drängten die niederländischen Arbeitgeber, gute Löhne zu zahlen. Nachdem auch die Amsterdamer Theater im Herbst 1941 ohne bemerkbaren Protest gleichgeschaltet worden waren, gab es dicke Subventionen für die Aufführungen. Schauspieler und andere Mitarbeiter verdienten so viel wie nie zuvor. Dafür wurde jedes Wort auf der Bühne der Zensur unterworfen. Die Stücke englischer Autoren – Shakespeare und George Bernard Shaw ausgenommen – tauchten nicht mehr im Spielplan auf.
    Schon wieder eine Liste! Der Judenbeauftragte Hans Böhmcker wollte von den Experten im Rathaus wissen, wer von den rund 31   000 Amsterdamern, die im weitesten Sinne Sozialhilfe erhielten, Jude war. Die bisherige Kartei machte darüber keine Angaben. Anfang November lagen die Ergebnisse vor, und nun wussten die Besatzer: Es gab in Amsterdam 1679 arbeitslose Juden; 1404 Juden waren im städtischen Arbeitsbeschaffungsprogramm beschäftigt; 2372 Juden waren Wohlfahrtsempfänger, 411 lebten in geschlossenen Heimen und bekamen die Verpflegung von der Stadt bezahlt.
    Alles viel zu teuer, erklärte Böhmcker der Sozialabteilung. Für diesmal könne die Gemeinde noch die Kosten übernehmen. In Zukunft würden die sozialen Ausgaben für Juden von den »jüdischen Kapitalbesitzern bezahlt werden«. Ab sofort aber müsse es innerhalb der Verwaltung eine strikte örtliche Trennung der Sozialhilfe für nichtjüdische Amsterdamer und Juden geben. Am 12. Dezember 1941 eröffnete die neue »Abteilung J, soziale Angelegenheiten« ihr Büro in der Nieuwe Kerkstraat, mitten im Judenviertel der Innenstadt.
    Nach bewährter Salamitaktik hatten die Deutschen im Verlauf des Jahres mit ihren Maßnahmen den Lebensradius der Juden Amsterdams Stück für Stück eingeengt. Bei einer Besprechung Ende November erklärte Hans Böhmcker den zuständigen Beamten, dass erstens die Amsterdamer Juden endgültig in drei städtische Viertel ziehen sollten: in das Judenviertel in der Innenstadt, nach Transvaal und Amsterdam Zuid. Zweitens sollten in diese drei Viertel zusätzlich alle Juden aus den restlichen Niederlanden »umgesiedelt werden«. Zur Erinnerung: Von den insgesamt 140   000 niederländischen Juden lebten rund 80   000 in Amsterdam. Das Protokoll meldet keinen Protest. Die Beamten sahen es als Erfolg an, dass die Deutschen zusagten, die drei Amsterdamer Bereiche nicht »Getto« sondern »Judenviertel« zu nennen, und es sollte auch nicht den Charakter eines abgeschlossenen Bezirks erhalten.
    Während in Amsterdam niederländische Beamten die »Umsiedlungs-Pläne« der Besatzer konkretisierten, die manchen vielleicht nicht geheuer waren, aber deren Zielsetzung dunkel bleiben musste, kam tausende von Kilometern entfernt die Mordmaschinerie in Gang, deren Sog auch Amsterdam erfassen würde. Es war der Krieg, in dessen Schatten parallel zu seiner öffentlichen Gewalt die Mörder ein heimliches Koordinatensystem von Terror und Vernichtung über ganz Europa spannten. Als die deutschen Soldaten im Juni 1941 die Sowjetunion überfielen, folgten ihnen auf dem Fuß vier Einsatzgruppen von SS und SD , die von ihrem Chef Heinrich Himmler nur

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