Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Amsterdamer nährte: Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion hatte, entgegen allen Parolen, zu keinem Blitzsieg geführt, Moskau war nicht erobert, Stalins Rote Armee zum Gegenangriff übergegangen. Aus Kreisen von Amsterdamer NSB -Funktionären war zu hören, dass sie Evakuierungspläne für ihre Familien schmiedeten, weil sie eine Landung der Alliierten im westlichen Europa fürchteten.
Nicht dass die Amsterdamer Mitleid mit den Nazis in den eigenen Reihen hatten. Aber zum Beginn des dritten Besatzungsjahres hatte sich die Situation zwischen den feindlichen Lagern entspannt. Die Trupps der Wehrabteilung ( WA ) warfen keine Fensterscheiben mehr ein, stürmten keine Lokale mehr, und wenn sie mal durch die Stadt marschierten, drehte sich kaum einer nach ihnen um. Die Amsterdamer hatten dazugelernt mit jedem Monat, den die Besatzungsmacht länger im Sattel saß. Sie waren entschlossen, sich den Umständen anzupassen. Wer wusste schon, wie lange es noch dauern würde mit der Befreiung von außen? Denn eine andere Chance gab es nicht.
Zwar trauerte Hendrik Jan Smeding in seiner Tagebucheintragung zum Jahresanfang dem Flair des Concertgebouw in alten Zeiten nach. Wie ein Fremdling habe er sich beim Mozart-Konzert gefühlt, umgeben von Deutschen und NSB lern – »und der Abwesenheit all der vertrauten Gesichter«. Im Alltag jedoch machten nicht wenige Amsterdamer die Erfahrung, dass der leibhaftige NSB ler – der Bäcker oder Schaffner, der Arbeitskollege, der Freund oder Verwandte, denn es gab sie auch in der Familie – durchaus ein sympathischer Mensch sein konnte, anständig, vertrauenswürdig. Jenseits der Pamphlete und marschierenden Kolonnen lösten sich die feindlichen Lager auf. Zwar gab es den Vater, der seinen erwachsenen Sohn aus dem Haus wies, weil er für die NSB warb. Da war die Großmutter, die ihre Enkelin nicht mehr ansah, weil sie in den NS -Jugendsturm ging oder Ehepaare, die zu Feinden wurden. Doch das waren Ausnahmen.
In der Regel blieben Freunde und die Familien zusammen, auch wenn die Einstellung zum Nationalsozialismus und den Besatzern sie trennte. Arbeitskollegen arrangierten sich. Es gab Stammlokale, wo die Amsterdamer Nazis unter sich waren: Zloch an der Weteringschans 171, dort hing unübersehbar ein Porträt des NSB -Führers Anton Adriaan Mussert; Trip am Rembrandtplein oder Im Weißen Rössl in der Handboogstraat 17. Im NS -Tanzclub in der Van Baerlestraat 33 war man unter sich. Andere Cafés hängten die NSB -Fahne vor die Türe und hatten doch Gäste mit unterschiedlichen politischen Meinungen, die sich alle wohlfühlten.
Darum erregte es kein Aufsehen und eher gemischte Gefühle, als am Neujahrstag 1942 in einem NSB -Gebäude eine Bombe explodierte. Die Amsterdamer hatten andere, alltägliche Sorgen. Der Winter 1941/42 war wieder extrem streng. Im Januar sanken die Temperaturen die meisten Tage auf minus 20 Grad. Viele Haushalte stöhnten unter gefrorenen und geplatzten Wasserrohren. Winterschuhe waren Mangelware. Die deutschen Besatzer, die Monat für Monat hunderttausende von Schuhen und Stiefel für die Wehrmacht aus den Niederlanden exportierten, zeigten sich wieder einmal großzügig, um die Amsterdamer bei Laune zu halten. Am 6. Januar verteilten sie im Hotel Krasnapolsky für rund 1000 Kinder je ein paar Schuhe. Zum »Tag der deutschen Polizei« am 15. Februar würden die »Grünen« rund 3000 Kinder im Krasnapolsky festlich bewirten lassen.
Der Anschlag vom 1. Januar – offensichtlich von einem Einzeltäter verübt – war schon fast vergessen, als am 21., 22., 24. und 30. Januar eine Serie von Bomben explodierte, wiederum in Gebäuden mit Büros der NSB . Menschen kamen nicht zu Schaden, doch diesmal reagierten die Deutschen und ihre Vergeltungsmaßnahmen trafen die ganze Stadt. In Amsterdam wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, die Sperrstunde von 22 auf 20 Uhr vorverlegt und der gesamte Straßenbahnverkehr schon um 19 Uhr eingestellt. Etwa hundert Bürger, die nichts mit den Anschlägen zu tun hatten, wurden als Geiseln verhaftet. Willkürlich wurden männliche Amsterdamer herausgegriffen und gezwungen, in kleinen Gruppen bei eisiger Kälte ab 1. Februar Nacht für Nacht die Amsterdamer NSB -Häuser zu bewachen. Sie wurden von Polizisten kontrolliert, denen gegenüber sie ihrer Wut freien Lauf ließen.
Hauptkommissar Tulp, Amsterdams oberster Polizist und überzeugter Kollaborateur, war über die Unsensibilität der Besatzer so erbost, dass er in einem Brief an den
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