Leben mit Hochsensibilitaet
einer Person. Menschen, die stark aufeinander ausgerichtet sind, übernehmen die Haltung häufig voneinander – ohne dass dies in Worten ausgedrückt wird. EineHaltung kann zaghaft, gebeugt, niedergeschlagen sein, oder zielstrebig, aufrecht, munter. Körperhaltungen werden früh gelernt und wurzeln tief. Gleichzeitig sind sie eine Momentaufnahme; sie lassen erkennen, ob jemand glücklich oder melancholisch ist, krank oder gesund. Haltungen sind eine Quelle von Einsichten für den aufmerksamen Arzt oder Therapeuten. Die Mitteilungen, die Menschen unbewusst machen, über Körperhaltung und Gesichtsausdruck, fallen in den Bereich der sogenannten nonverbalen Kommunikation. Hochsensible Menschen fangen relativ viele nonverbale Hinweise auf.
Natürlich kann die Fähigkeit, so vieles wahrzunehmen, auch beängstigend und problematisch werden. Nicht wenige Hochsensible ziehen es deshalb vor, lediglich einen oder nur wenige gute Freunde zu haben, denen sie voll vertrauen können und zu denen sie eine intensive Beziehung aufbauen. Das bietet ihnen Sicherheit und den nötigen Rahmen, sie selbst zu sein. Besser als in lebhaften Cliquen geht es ihnen in Eins-zu-eins-Beziehungen. Kennst du das? Statt abends mit Bekannten in eine Diskothek zu gehen, vergnügst du dich lieber mit stundenlangen Gesprächen mit einem guten Freund/einer guten Freundin. Du blühst in großen Gruppen kaum auf; dort passiert zu viel um dich herum. Das überwältigt dich schnell und erschöpft dich eher als andere. Du bevorzugst eine ruhige Begegnung, ein aufmerksames Gespräch. Auf unwillkommenes „Rauschen“ oder auf „Störsender“ verzichtest du lieber, denn du kannst dich schlecht dagegen abschirmen. Im Kontakt mit einem einzelnen Menschen fühlst du dich hingegen freier, kommst mehr zu deinem Recht. Du kannst deine Gedanken, Überlegungen und Ideen mit dem anderen teilen, oder deine Freundin endlich fragen, wie sie sich nun nach ihrer Scheidung wirklich fühlt.
Wenn du eine Herzensfreundin/einen Herzensfreund oder einige wenige sehr gute Freunde hast, kann das Band so stark sein, dass es zu Nähe und Austausch auf „übersinnlichem“ Niveau kommt. Es kann beispielsweise so stark sein, dass bei euch gedankliche Resonanzen auftreten. Der eine ruft gerade an, wenn der andere an ihndenkt. Ihr beginnt beide über dasselbe Thema zu sprechen. Ein halbes Wort genügt, und ihr wisst, was der andere meint. Vielleicht habt ihr das Gefühl, die Gedanken des anderen lesen zu können. Das kann gelegentlich auch störend sein: Hochsensible fühlen so leicht die Emotionen eines anderen, dass sie diese Emotionen unbemerkt übernehmen. Das kann für Verwirrung sorgen. Ist dieses Gefühl jetzt mein Gefühl oder das des Freundes? Ich selbst fühle mich mit einer Freundin und mit meiner Schwester so verbunden, dass wir beinahe ständig dasselbe denken und über dieselben Themen zu sprechen beginnen. Hochsensible erleben so etwas häufig auch in einer intimen Beziehung. Da gibt es dann oft amüsante Zufälle oder Gefühlszusammenflüsse, die für Verwirrung sorgen können.
Erwachsene und Kinder mit hochsensiblem Charakter fühlen Stimmungen anderer deutlich. Dadurch sind sie besonders gut imstande, anderen Unterstützung und Trost zu geben. Sie lesen sozusagen die Probleme vom Gesicht des anderen ab. Und sie haben – wie im letzten Kapitel geschildert – eine natürliche Neigung, einfühlsam und am Schicksal des anderen interessiert zu sein. Sie haben die Tendenz, jemandem zuzuhören und sich in den anderen hinein zu denken. Das ist eine schöne Eigenschaft hochsensibler Menschen. Deshalb greifen andere Menschen gern auf die Unterstützung, den Rat und die Fürsorge eines Hochsensiblen zurück. Unter Sozialarbeitern und Beratern trifft man viele Hochsensible an. Das sind Berufe, die hervorragend zu ihrem Charakter passen – solange sie sich damit nicht überfordern. Denn Hochsensible haben vielfach Schwierigkeiten, sich gut abzugrenzen – klar zu machen, wo die Grenze für ihre Hilfe verläuft. Besonders belastend wird es, wenn der Hochsensible die Sorgen der ganzen Welt auf sich nimmt. Andererseits kommt es auch vor, dass andere so auf den Hochsensiblen eindringen, dass er sich regelrecht gezwungen fühlt, zu helfen, selbst wenn er es eigentlich nicht möchte. Weil er vielleicht nicht recht gelernt hat, gut für sich selbst zu sorgen, kann ihm ein Hilferuf oder eine Bitte um Rat wie eine unabweisbare Forderung vorkommen. Manche Menschen haben ein Talent
Weitere Kostenlose Bücher