Leben mit Hochsensibilitaet
essen wollen usw. Das ist natürlich ein Zeichen von Respekt, aber bedeutet manchmal auch eine anstrengende Menge an Entscheidungen, die das Kind fällen muss. Weil ein hochsensibles Kind jede Frage äußerst ernst abwägt, kann diese ganze Fragerei dann auch zu viel des Guten sein.
Wenn man hochsensible Kinder zu stark unter Druck setzt, zu sehr zwingt, sich an das schnelle Tempo und die harten Umgangsformen der weniger Sensiblen anzupassen, kann es vorkommen, dass Kinder anfangen zu protestieren. Meistens jedoch werden sich hochsensible Kinder zurückziehen. Wenn sie sich zu stark zurückziehen, leiden auf Dauer ihre sozialen Fertigkeiten. Sie werden schüchtern und sozial gehemmt. Nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen wird rebellisch und fällt möglicherweise durch lautstarkes Verhalten auf, das eigentlich so gar nicht zu seinem Wesen passt. Doch diese Kinder passen sich nur dem Chaos an, das sie um sich herum spüren. Dann markieren sie vielleicht den Klassenclown und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich.
Antoinette war in der Grundschule ein ruhiges und ernstes Kind. Als sie zur Oberschule kam, kannte sie kaum andere Kinder und hatte es anfangs sehr schwer. Sie war zurückhaltend, eine Haltung, die seitens ihre Klassenkameraden nicht besonders geschätzt wurde. Sie triezten und neckten Antoinette. Häufig kam sie weinend nach Hause, erzählt ihre Mutter Johanna. Trotzdem hatte Antoinette genug Selbstvertrauen, um die Mitschülerinnen zu besuchen, die sie gerne mochte. Schließlich hatte sie etliche Kontakte und es lief eine Zeit lang ganz gut für Antoinette. In der Schule klappte es, und sie machte ihre Hausaufgaben brav. Auch bei den Schulnoten gab es nichts Auffälliges. Johanna bemerkte aber etwa nach der Hälfte des Schuljahrs eine Verhaltensänderung bei ihrer Tochter. Diese wurde immer unzugänglicher und hektischer. Sie verhielt sich unberechenbarer undkam häufig mit den Worten nach Hause, dass der Lehrer sie aus der Klasse geworfen hätte. Johanna fand, dass dieses Verhalten gar nicht zu Antoinette passte. Sie befragte ihre Tochter dahingehend, bekam aber kaum Antworten oder gar eine Erklärung für diese Veränderung. Während eines Elternabends sprach die Klassenlehrerin das Thema an. Weil diese Lehrerin ein Herz für Kinder hatte und auch ein gutes Wahrnehmungsvermögen – Johanna meint im Nachhinein, dass sie sicher auch hochsensibel sei – kam sie mit einer Erklärung, die Johanna eigentlich recht einleuchtend fand. Antoinette hatte sich nämlich in den letzten sechs Monaten zum Spaßvogel der Klasse entwickelt. Sie hatte die Lacher auf ihrer Seite, und obwohl ihre Späße gegenüber den Lehrern noch recht unschuldig waren, störte sie den Unterricht doch ab und an so sehr, dass die Lehrkräfte eingreifen mussten. Nach Auffassung der Klassenlehrerin hatte sich Antoinette diese Haltung angewöhnt, weil sie die Unruhe der Klasse in sich aufgenommen hatte. Sie war tatsächlich durch all die neuen Eindrücke überreizt worden.
Im Laufe der Zeit ließ das unruhige Verhalten von Antoinette wieder nach. Sie fand ihren Platz in der Klasse, ohne dass sie sich verstellen musste, und die Schule machte ihr richtig Spaß. Johanna entdeckte, dass sie ihrer Tochter gar nicht so viele Vorgaben zu machen brauchte. Johanna zeigte vor allem Verständnis für ihre Tochter und erfreute sich daran, wie sie sich in diesem Jahr emotional entwickelte. Sie hatte volles Vertrauen zu ihrer Tochter, die selbst auch zu wissen schien, wie sie die Situation wieder in gute Bahnen leiten konnte.
Will man zu viel gute Ratschläge geben und macht man zu viele Pläne, dann wird man nur auf Widerstand stoßen. Kinder und besonders hochsensible Kinder sind viel ausgeglichener, als man denkt. Sie sind intuitiv und zeigen, was sie brauchen. Wenn man sie nicht zu sehr ihren Gefühlen entfremdet, wissen sie sehr gut, was sie wieder ins Gleichgewicht bringt. Das kann zum Beispiel mehr Privatsphäre sein, mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit oder mehr Ruhe. Die Kunst ist, darauf zu hören und ihr subtiles Verhalten richtig zuinterpretieren. Manchmal ist es nötig einzugreifen, manchmal nicht. Meistens kommt man selbst dahinter, wenn man die Dinge aufmerksam beobachtet.
Sandra Vonk, die eine Praxis für Bewegungstherapie hat und sowohl Kinder als auch Erwachsene behandelt, berichtet Folgendes über ihren kleinen Patienten Jonas: „Als Jonas’ Mutter es schaffte, in einen Zustand von Ausgeglichenheit und Ruhe zu kommen, wofür ich aber all
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