Leben nach dem Tod - warum es nicht irrational, sondern logisch ist, an das Jenseits zu glauben
Islamisten hüten müssen, die auf ihrer Suche nach dem Paradies als Attentäter Flugzeuge in Gebäude lenken, dann müssen wir uns genauso vor atheistischen Fanatikern hüten, die Millionen
Menschen ermorden, um ihre Version eines irdischen Paradieses durchzusetzen.
Wir wollen unsere Untersuchung auf die größere Frage ausdehnen, ob der Glaube an Gott und ein Leben nach dem Tod gegen das irdische Leben gerichtet ist und »alles vergiftet«. Und sofort müssen wir fragen: Hat dieser Glaube Menschen wie Dante, Shakespeare und Milton vergiftet? Hat er Maler wie Raffael und Tizian kontaminiert? Oder Künstler wie Leonardo und Michelangelo? Hat er Komponisten wie Händel und Bach ruiniert? In seinem Buch Human Accomplishment fragt Charles Murray, was den großen Errungenschaften des Westens gemeinsam ist. Er kommt zu dem Schluss, es sei der Eindruck des Transzendenten, der, wenn auch unausgesprochen, unser »Gefühl für das Wahre, das Schöne und das Gute« mit Leben erfüllt. Murray nennt als bezeichnendes Beispiel die namenlosen mittelalterlichen Steinmetzen, die Wasserspeier in die großen gotischen Kathedralen meißelten. Oft seien ihre detailliertesten Reliefs ganz oben auf den Bauwerken gewesen, verborgen hinter Randleisten und für die Öffentlichkeit unsichtbar. Murray schreibt: »Sie haben diese Wasserspeier so sorgfältig wie alle anderen gemeißelt, obwohl sie wussten, dass ihre Werke für kein menschliches Auge mehr sichtbar waren, sobald die Kathedrale fertiggestellt und das Gerüst entfernt sein würde. Es hieß, sie hätten die Figuren für das Auge Gottes gefertigt.« 8 Wie viele andere große Künstler haben die gotischen Steinmetzen ihre Arbeit sub specie aeternitatis getan: »unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit«.
Nun möchte ich zeigen, dass einige der großartigsten Ideen und Institutionen der westlichen Zivilisation durch
eine ähnliche Vision von Transzendenz geprägt wurden. Beginnen wir mit der Kernidee des westlichen Liberalismus, der Trennung von Staat und Gesellschaft. Wir alle halten es für selbstverständlich, dass es einen öffentlichen Bereich gibt, in dem die Regierung herrscht, und eine Privatsphäre, in der wir unsere eigenen Entscheidungen treffen. Wo hat diese Differenzierung ihren Ursprung? Weil wir so daran gewöhnt sind, die Demokratie der klassischen Antike mit der heutigen »Volksherrschaft« gleichzusetzen, vergessen wir manchmal, dass es im alten Griechenland eine solche Trennung nicht gab. Dort hatte der Staat die Macht, ungehindert das gesamte Privatleben zu regeln. Der Historiker Paul Rahe weist ausdrücklich darauf hin, dass Sparta und nicht Athen als Gesellschaftsmodell der klassischen Antike galt, und die Athener hatten ebenfalls keine Bedenken, private Interessen dem Gemeinwohl unterzuordnen. In Wirklichkeit ging die Zuständigkeit der alten Polis noch sehr viel weiter als der lange Arm unserer Wohlfahrts- oder sogar das islamische Gesetz in den heutigen Moslemstaaten. 9
Im 4. Jahrhundert unterschied der Kirchenvater Augustinus zwischen dem »Gottes-« und dem »Menschenstaat«. Für ihn war ersterer ein himmlisches Reich, das erst am Ende der Zeit voll verwirklicht sein wird. Aus eigener Kraft kann der Mensch diesen glücklichen Staat nicht erschaffen; er ist letztlich ein Produkt göttlicher Architektur. Augustinus verglich diesen perfekten himmlischen Staat dann mit dem irdischen Menschenstaat, der in Interessengruppen aufgeteilt und durch Selbstsucht und Gewalt zerrissen ist. Augustinus wusste, dass Platon und andere griechische Philosophen versucht hatten, den intellektuellen Rahmen
für perfekte Regierungsformen zu entwickeln, doch hielt er die Versuche zur praktischen Umsetzung solcher Ideen ofenbar für vergeblich und gefährlich. In dieser Hinsicht hat die historische Erfahrung ihn voll bestätigt.
Augustinus ging es jedoch nicht so sehr darum, dass Menschen sich vor Utopien hüten sollten, sondern er wollte vor allem deutlich machen, dass wir unterschiedliche Bindungen und Treuepflichten gegenüber dem Gottes- und dem Menschenstaat haben. Diese Idee stammt ursprünglich nicht von Augustinus, sondern von Christus, der als Erster dazu aufgefordert hat, »dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist«. Die frühen Christen, die von den römischen Herrschern schikaniert und verfolgt wurden, hatten keine Mühe, diesen Unterschied zwischen den Ansprüchen ihrer Kirche und den konkurrierenden Forderungen der weltlichen Herrscher zu
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