Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
mit einem bestimmten Wirkstoff vergiften kann. Genauso kann man in einigen wenigen Fällen, in denen zur Gesundheit ein bestimmter Wirkstoff fehlt, eine Pille nehmen, die dem Körper genau diesen fehlenden Bestandteil zuführt.
Es liegt im Wesen des Menschen, sich nach Wunderwaffen in der Medizin zu sehnen, aber die entdeckt man alle Jubeljahre einmal, und vielleicht haben wir auch schon alle Jubeljahre hinter uns. In letzter Zeit hat es jedenfalls kaum noch solche Entdeckungen von Wunderpillen gegeben, die eine Krankheit wirklich heilen. Der Pharmaindustrie ist deswegen im Moment etwas unbehaglich zumute; alle leicht erreichbaren Früchte sind gepflückt, alle Wunderpillen gefunden. Jedenfalls wird es wohl nicht mehr viele geben; weiter nach ihnen zu forschen, ist meiner Meinung nach Verschwendung von Zeit, Geld und Ressourcen. Stattdessen brauchen wir einen ganz anderen Ansatz – ein neues Modell.
Die gute Nachricht lautet, dass es ziemlich vielversprechend ist, den Körper als ganzes System aufzufassen, was bedeutet, ihn kontrollieren zu können, ohne unbedingt jede einzelne Komponente verstehen zu müssen. Wir verstehen vielleicht erst dann, was Krankheiten wie Krebs eigentlich sind, wenn wir anfangen, den Körper so zu betrachten, dass wir sein komplexes Wesen, bei dem alles miteinander verwoben ist, verstehen und respektieren lernen, weil es zunächst kontrolliert werden muss, bevor man es wirklich erfassen kann. Ich werde später in diesem Buch noch zeigen, wie die Proteomik uns dabei helfen kann, dieses neue Modell zu gestalten und damit den Körper auf eine ganz neue Weise zu erforschen. Aber bis die Proteomik zu einem etablierten und leistungsfähigen Zweig der klinischen Medizin wird, der uns allen zugutekommt, müssen wir zunächst unsere Auffassung von Gesundheit ändern und lernen, den Körper als ein System zu betrachten.
Ein Großteil unserer Kenntnisse über den Nachthimmel verdankt sich einer ähnlichen Herangehensweise. Anfang des 17. Jahrhunderts ging Galileo Galilei jeden Abend ins Freie und kartierte die Sterne. Irgendwann hatte er die Karte fertig und konnte genau sagen, welche Sterne er zu sehen bekommen würde, wenn er zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Himmelsausschnitt betrachtete. Aber wusste er überhaupt, was ein Stern ist? Überhaupt nicht. Das wusste damals niemand. Es sollte noch Hunderte Jahre dauern, bis die Wissenschaft dahinterkam. Galileos Genialität bestand nicht darin, das Universum zu verstehen, sondern von seinem Wissensdrang abzusehen und dadurch Fortschritte auf anderen Gebieten der Astronomie zu erzielen.
Wenn ich die Biografie des menschlichen Körpers in einem einzigen Satz zusammenfassen sollte, würde ich sagen, dass sie eine Biografie eines Systems ist, die keiner anderen gleicht. Wir glauben vielleicht, bestimmte Aspekte des Systems im Griff zu haben, die es uns als gesund oder nicht gesund einschätzen lassen – etwa den Cholesterinwert oder das Idealgewicht –, aber das führt oft zu kategorischen und sturen Interpretationen. Oder, um es anders auszudrücken, wir nehmen vielleicht ein Vitamin-B-Präparat, um unsere Energie zu steigern und den Stoffwechsel anzukurbeln, aber das bedingt vielleicht einen Nachteil irgendwo anders im System. Was »gut« für das eine ist, muss nicht gut für das andere sein. Und »gute Gene«, etwa eine krebsfreie Familiengeschichte, können uns mitunter im Stich lassen.
Krebs macht uns nicht nur so viel Angst, weil er für eine lange, schmerzvolle und schwere Krankheit steht, die kaum je wirklich heilbar ist, sondern auch, weil er verstohlen, heimlich, unergründlich und von Natur aus rätselhaft auftritt. Es ist nur natürlich, dass wir es nicht mögen, wenn wir etwas nicht verstehen oder kontrollieren können. Deswegen fällt es uns vielleicht auch oft so schwer, den Körper als kompliziertes und oft geheimnisvolles Wesen zu begreifen. Wir wollen nicht zugeben, dass er immer noch jenseits unserer Begriffsmöglichkeiten liegt und dass wir unseren eigenen Körper vielleicht nie so beherrschen werden, wie wir unsere Muttersprache oder das Radfahren beherrschen. Unverständnis und Unkenntnis führen zu Furcht. Die Ironie dabei ist, dass wir diese Kontrolle, die wir so verzweifelt anstreben, vielleicht schneller und besser erlangen, wenn wir zugeben, dass wir in vieler Hinsicht unbegreiflich komplex sind und uns selbst auch so behandeln. So kann es uns auch gelingen, die Furcht zu vertreiben, die unsere Lebensqualität
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